
Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan. Analysen und Stimmen aus Rojava
Thomas Schmidinger gewährt tiefe Einblicke in eine der derzeit umkämpftesten und dadurch politisch wichtigsten Regionen der Welt. Diese Einblicke basieren auf eigenen Eindrücken, die er auf mehreren Reisen hat sammeln können, und direkten Kontakten zu den Menschen. Neben der ausführlichen Analyse des Autonomieprozesses in Syrisch‑Kurdistan, den Schmidinger in seinen historischen, politischen und soziologischen Dimensionen nachzeichnet, nehmen die Interviews ein Drittel des Umfangs ein. Diese Gespräche, die – ohne damit den Wert der vorstehenden, eher klassisch sozialwissenschaftlich gehaltenen Rekonstruktionen schmälern zu wollen – machen den eigentlichen Wert des Bandes aus. Denn sie konfrontieren uns mit Stimmen, die, vom Autor von 2006 bis 2014 in Europa, der Türkei und Syrien eingefangen, zumindest in Teilen sonst wohl nie Gehör gefunden hätten. Etwa jene von Manal Husseini, Obfrau des kurdischen Frauenvereins, die sich angesichts einer stark männlich dominierten Gesellschaft um die private wie öffentliche Rolle der Frauen sorgt und diese durch diverse Seminare und Projekte zu stärken versucht. Oder jene von Dajad Akobian, Pfarrer der armenisch‑apostolischen Gemeinde von Dêrik. Akobian berichtet von dem guten Verhältnis zwischen den Religionsgruppen in der Region ebenso wie von der Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat, der in Dêrik jedoch keine Anhängerschaft besitze. Auf die Frage indes, ob Europa ein Zufluchtsort sein könne, falls sich der Bürgerkrieg dennoch ausweiten sollte, antwortet Akobian, der auch schon eine Gemeinde in Deutschland betreut hat, ausweichend. Seine sechzehnjährige Tochter Talar hingegen ist sich sicher, was mögliche Refugien anbelangt: „Sicher nicht nach Europa.“ (197) Ob das eine persönliche Präferenz ist oder aber ein Ergebnis europäischer Flüchtlingspolitik, wie sie derzeit im Mittelmeerraum betrieben wird, bleibt offen.