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Doris Gerber / Véronique Zanetti (Hrsg.)

Kollektive Verantwortung und internationale Beziehungen

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2010 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1955); 411 S.; 14,- €; ISBN 978-3-518-29555-7
„Hamas, Amnesty International, Microsoft, die katholische Kirche, die Universität Cambridge und die Vereinten Nationen“ nennt Toni Erskine als Beispiele für Kollektive, die als „institutionelle moralische Handlungssubjekte“ (248) zu verstehen sind. Sie zeichnen sich nach ihrer Definition durch bestimmte Eigenschaften aus; dazu zähen eine Identität, „die mehr ist als die Summe der Identitäten ihrer konstitutiven Bestandteile [...]; eine Struktur der Entscheidungsfindung; eine mit dieser Struktur verbundene Ausführungsfunktion, die es erlaubt, die getroffenen Entscheidungen umzusetzen; eine Identität über die Zeit hinweg; und einen Begriff von sich selbst als einer Einheit“ (247). Erskine erweitert damit die Frage, die den Beiträgen des Bandes zugrunde liegt: „Inwiefern und unter welchen Bedingungen tragen Staaten oder Staatenbündnisse Verantwortung gegenüber bestimmten Gruppen von Personen oder gegenüber anderen Staaten beziehungsweise deren Bevölkerung?“ (10) Ein Kapitel in diesem überaus anregenden, durch klare Argumentationen ausgezeichneten Band ist außerdem der Verantwortung global tätiger Unternehmen gewidmet. In den ersten Beiträgen wird der Begriff des Kollektivs ausführlich erörtert und eine kollektive Verantwortung als eine eigenständige moralische Verantwortung erkannt. David P. Schweikard definiert zudem die – individuelle und/oder gemeinsame – Verantwortung durch kollektives Unterlassen. Dieser Beitrag lässt sich u. a. als Vorüberlegung zu „Multilateralisierung der Verantwortungslosigkeit“ von Joachim Krause lesen, der das Versagen des Systems kollektiver Sicherheit anprangert. In den 90er-Jahren und dem vergangenen Jahrzehnt „dürften etwa 6 Millionen Menschen ihr Leben verloren haben, weil der Multilateralismus der Sicherheits- und Friedenswahrung [...] versagt hat“ (295). Angesichts der zivilen Opfer erkennt er eine kollektive Verantwortungslosigkeit u. a. bei der Befreiung Kuwaits, in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, beim Völkermord in Ruanda und im Sonderregime über den Irak. David Rodin bestreitet darüber hinaus, dass Soldaten sich im Krieg auf eine kollektive Entschuldigung für das Töten berufen können. Eine Kriegsführung sei nur gerechtfertigt, wenn sie „nichts anderes [ist] als die koordinierte, kollektive Ausübung individueller Rechte zur Notwehr“ (224).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 4.1 | 5.44 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Doris Gerber / Véronique Zanetti (Hrsg.): Kollektive Verantwortung und internationale Beziehungen Frankfurt a. M.: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32196-kollektive-verantwortung-und-internationale-beziehungen_38403, veröffentlicht am 09.11.2010. Buch-Nr.: 38403 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken