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Alex Gertschen

Klassenfeinde – Branchenpartner? Unternehmer und Gewerkschaft der westdeutschen Textilindustrie vor der Herausforderung der Internationalisierung, 1949-1979

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013 (Historische Grundlagen der Moderne 9); 335 S.; 64,- €; ISBN 978-3-8487-0101-8
Diss. Marburg; Begutachtung: E. Conze, C. Kleinschmidt. – Bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zirkulierten Waren‑, Arbeits‑ und Kapitalströme in gewaltigem Ausmaß über nationale Grenzen hinweg. Die internationalen Waren‑ und Kapitalflüsse brachen dann unter anderem aufgrund von protektionistischen Politiken ein. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sollte die Dimension von vor knapp einem Jahrhundert wieder erreicht sein. Die Textilindustrie stellte in diesem Prozess eine Wirtschaftsbranche dar, die besonders schnell internationalisiert wurde. Alex Gertschen untersucht, wie die Internationalisierung die Tarifbeziehungen in der westdeutschen Textilindustrie beeinflusste und wie die beiden Branchenakteure, der Unternehmerverband Gesamttextil und die Gewerkschaft Textil‑Bekleidung (GTB) diesen Prozess institutionell zu gestalten versuchten. Der Autor nutzt für seine akteurszentrierte Untersuchung die von Habermas entwickelte Theorie des kommunikativen Handelns und prüft die vorrangig aus Archivmaterialien geborgenen Aussagen von Vertreter_innen der GTB und des Unternehmerverbandes auf kognitive Welt‑, normative Ordnungs‑ und expressive Selbstbezüge. Gertschen stellt die These auf, dass die handels‑ und tarifpolitische Zusammenarbeit beider Akteure maßgeblich vom Erfolg kommunikativer Verständigung abhing. In der ersten Phase des Untersuchungszeitraums (1949‑1959) dominierte aufseiten der GTB eine vom Klassenkampf geprägte Lebenswelt, aufseiten der mittelständischen Unternehmer hingegen die Vorstellung einer gemeinsam mit Politik‑ und Behördenvertretern (ohne die Gewerkschaft) zu entwickelnde, fürsorglich‑patriarchale Bestimmung der Arbeitsbedingungen. Dies änderte sich zwischen 1960 und 1968, als die deutsche Textilbranche zunehmend unter Druck geriet. Die beiden Branchenakteure kooperierten gegenüber der Großen Koalition, um die Politik zu protektionistischen Korrekturmaßnahmen zu bewegen. Ein auf Verständigung setzendes Verhältnis zeigte sich darüber hinaus auch an dem Tatbestand, dass die Gewerkschaftsbeiträge nun von den Betrieben einkassiert wurden. Für den letzten Untersuchungszeitraum konstatiert Gertschen jedoch, dass sich diese Ansätze wieder auflösten, weil vor allem die Internationalisierung der Kapitalmärkte voranschritt und beide Akteure andere Partnerschaften intensivierten.
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Rubrizierung: 2.3132.3312.342 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Alex Gertschen: Klassenfeinde – Branchenpartner? Baden-Baden: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40045-klassenfeinde--branchenpartner_45651, veröffentlicht am 01.09.2016. Buch-Nr.: 45651 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken