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Julia Ebner: Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen

13.06.2018
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Autorenprofil
Dr. rer. pol. Wahied Wahdat-Hagh
Darmstadt, Theiss Verlag 2018

In Europa ist das Gefühl der Sicherheit verloren gegangen. Infolge des Terroranschlags vom November 2015 in Paris sind 130 unschuldige Menschen gestorben. Eine französische Zeitung hatte verkündet: „Diesmal ist es Krieg“ (43). Die Demokratie sei in Gefahr und dies nicht nur durch die unmittelbare Gewalt, schreibt Julia Ebner, die am Londoner Institute for Strategic Dialogue (ISD) forscht und zuvor bei Quilliam, einer von ehemaligen Islamisten gegründeten Organisation zur Extremismusprävention, tätig war. Für Ebner gefährden extremistische Geschichtenerzähler die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Pressefreiheit: Sie manipulieren das demokratische System und wollen die soziale, politische oder ökonomische Ordnung verändern, indem sie das kollektive Bewusstsein beeinflussen. Der Machtkampf besteht darin, wer „die bessere Geschichte erzählt, weil die beste Geschichte die Massen mobilisieren und beherrschen wird.“ (45)

Ebner analysiert nun die Wechselwirkungen von rechtsradikalen und islamistischen Bewegungen in der Gegenwart und liefert ganz konkrete Beispiele, wie extremistische und radikale Bewegungen voneinander zehren und sich gegenseitig hochschaukeln – und dies in einer Zeit der wachsenden „politischen Instabilität bei verschiedenen EU-Mitgliedern“ (38).

Überzeugend präsentiert Ebner zunächst die Relevanz von Ideen, wenn sie schreibt, dass auch die Französische Revolution nicht erfolgreich gewesen wäre, wenn es Theoretiker wie Montesquieu, Mirabeau und Rousseau nicht gegeben hätte. Ähnlich könnten Ideologen heute Geschichte machen, wenn sie mittels Printmedien und Internet bis hin zu visuellen Darstellungen in der Kunst neue Identitäten und Narrative schaffen. Der „homo consumericus“ (46) konsumiere und kaufe, so die These, was der beste Geschichtenerzähler ihm verkaufe. Dabei seien Rechtsextremisten und radikale Islamisten bei der Beeinflussung der Massen sehr erfolgreich, denn die Menschen hätten eine Schwäche für „binäre Weltbilder“ (47). Extremisten erzeugten in ihrer Propaganda mittels stereotypen Darstellungen von Unschuldigen, Helden oder Märtyrern und durch Beschwörung von Teamgeist und Brüderlichkeit bei ihrer Zielgruppe Empathie. Die Narrative der Rechtsextremisten und der radikalen Islamisten würden zwar aus entgegengesetzten Blickwinkeln erzählt. Diese hätten dennoch eine charakteristische Gemeinsamkeit: die Polarisierung. Sie alle forderten absolute Lösungen. Beider Narrative mündeten in ein Meta-Narrativ, das von einem „Krieg zwischen Muslimen und Nichtmuslimen“ (57) ausgehe.

Die Absicht der islamistischen Extremisten sei letztlich, durch todbringende und niederträchtige Terroranschläge eine finale Konfrontation mit dem Ziel eines „Weltbürgerkrieges“ (80) herbeizuführen. Ausgerechnet die Terroristen des Islamischen Staates verwendeten Videos im Hollywood-Stil und popkulturelle Referenzen. Mit ihrer verführerischen Propaganda schafften Extremisten es, die „Identitätsvakuen“ (86) der Menschen zu füllen.

Nicht zu unterschätzen sei die Tatsache, dass der IS seinen Kämpfern im utopischen Kalifat Sinn, Sex und Erlösung verheiße. Nicht weniger bemerkenswert seien die rechtsextremen Ideen. Die Rechtsextremisten von heute ersetzten zunehmend den biologischen Rassismus durch „kulturellen Nativismus“ (93). Ihnen kämen terroristische Aktionen der Islamisten zupass, um unter Hinweis auf diese gegen Dschihadisten vorzugehen und „eine ungerechtfertigte Intoleranz gegenüber Muslimen zu legitimieren“ (97). Betrieben werde eine spalterische Identitätspolitik, die für eine Polarisierung und Radikalisierung sorge.

Ebner spricht von einer globalen Identitätskrise (116), die durch die Globalisierung, Technologie und Migration eine neue Dynamik bekomme. Insbesondere seien bestehende Wertesysteme und kulturell verwurzelte Ideologien destabilisiert worden. Folglich seien Identitätskrisen auch wichtige Triebkräfte für eine Radikalisierung. „Je ungefestigter die Identität eines Einzelnen ist, desto größer die Versuchung, zu radikalen Lösungen zu greifen.“ (120) Im Anschluss an diese globale Identitätskrise sei der Aufschwung der Identitätspolitik der Islamisten und der Rechtsextremisten möglich geworden. Zu den Akteuren dieser Identitätspolitik zählt die Autorin Donald Trump, Parteien wie Front National, FPÖ, UKIP und die AfD sowie andere „autoritäre Populisten“ (138).

Exemplarisch zeigt Ebner den propagandistischen Erfolg am sogenannten #Mossul-Effekt (152): Kraft einer Twitter-Kampagne und einem im Internet effektiv verbreiteten Video täuschte der IS eine militärische Stärke vor, die dazu führte, dass sogar gut ausgebildete Soldaten aus Angst ihre Posten verließen, als der IS anrückte. Für Ebner ist dies der Beweis dafür, dass es keine „mächtigere Waffe und keinen wirksameren Antrieb für Veränderung als eine gute Geschichte“ (154) gibt. Eine bessere Armee mag eine Schlacht gewinnen, aber wer über die bessere Geschichte verfügt, gewinnt den Krieg.

Rechtsextremistische und populistische Rechte sowie islamistische Extremisten erklärten Missstände stets in Schwarz-Weiß-Narrativen. Es sei daher ein „Teufelskreis“ (204), wenn es den Extremisten gelinge, ihre eigenen Vorhersagen in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung zu verwandeln: Islamistische Extremisten benutzten die antimuslimische Rhetorik der Rechtsextremisten für ihre eigenen ideologischen Ziele und damit zur Anwerbung von gewaltbereiten Muslimen, deren Aktionen wiederum weitere Jugendliche radikalisiere.

Ebner zeigt lebhaft anhand von Beispielen, wie antimuslimischer Hass zum antisemitischen Hass und umgekehrt führt und wie sich immer wieder der Kreis des Hasses auf einer neuen Ebene schließt. In den vergangenen Jahren habe sich der Prozess der Radikalisierung der Rechtsextremisten und der extremistischen Islamisten gesteigert. „Die Taten auf der einen Seite führen verstärkt zu Vergeltungsmaßnahmen auf der anderen Seite“ (214), so die These. Ebner geht an dieser Stelle auf die Global Database on Terrorism (GDT) ein, die weltweit Terrorakte verzeichnet. Die Autorin kommt in ihrer Analyse zu dem Schluss, dass rechtsextremistische Gewalt mit islamistischen Anschlägen korreliere. Zudem gewinnt sie aus den Daten die Erkenntnis, dass zwischen Januar 2012 und September 2016 überall in den USA, Australien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland rechtsextreme und islamistische Terroranschläge zur selben Zeit stark zugenommen haben. Tatsächlich aber kann Ebner, abgesehen von einer statistischen Korrelation, nicht konkret nachweisen, dass ein Terrorakt die konkrete Antwort auf einen anderen Terrorakt ist. Auch wenn die Statistik verblüffend ist, ist die konkrete Zielscheibe des islamistischen Terrorismus die freie, westliche Gesellschaft oder exakt jüdische oder israelische Ziele.

Dennoch bleibt ihre These, dass sich die verschiedenen Formen des Extremismus wechselseitig radikalisieren würden, im Zentrum der Analyse: Es werde eine „Spirale der Gewalt“ (218) zwischen Rechtsextremismus und islamistischem Extremismus in Gang gesetzt. Ähnlich wie ein „Crossover-Effekt“ (250) zwischen der extremen Rechte und extremen Linke existiere, gebe es einen zwischen der extremen Rechten und dem extremen Islamismus. Mit diesem Begriff soll die Spirale der Gewalt erklärt werden: Gewalt von der einen Seite springt auf die andere Seite über, sodass die verschiedenen Seiten sich gegenseitig anstecken. Interessant ist auch der „Werther-Effekt“ (261), der einem Ansteckungseffekt gleichkomme und Nachahmer hervorbringe, die sich gegenseitig radikalisierten. So liegen die Brutstätte der islamistischen Extremisten in Würzburg und Ansbach und das neonazistische Kerngebiet Bamberg innerhalb eines „Radius von sechzig Kilometern“ (262). Ebner erklärt nicht, welche Bedeutung es haben könnte, dass Nürnberg, wie sie schreibt, einen guten Ruf unter Islamisten hat, was auf jeden Fall nicht bedeutet, dass es in anderen Städten wie Köln, Hamburg und Berlin keine Islamisten gibt. Zumal am 16. Dezember 2016 der Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche von einem islamistischen Terroristen ausgeführt worden ist. Man muss diesem Ansatz auch entgegenhalten, dass die islamistischen Terroranschläge und Messerattacken in Deutschland in den vergangenen Jahren in Ansbach, Berlin, Bonn, Essen, Frankfurt, Hamburg, Ludwigshafen, und Würzburg stattfanden und damit nicht nur in der regionalen Nähe von Rechtsradikalen.

Ressentiment verschmelze mit Angst und daraus erfolge Radikalisierung. Insbesondere wenn Vorurteile mit Vorurteilen gekontert würden, radikalisierten Extremisten sich gegenseitig, beschreibt Ebner. Die Tatsache, dass beide extremistische Bewegungen eigentlich die rechtsstaatliche Demokratie und die westlichen Errungenschaften der Aufklärung bekämpfen, geht bei dieser Argumentationskette immer wieder unter, und wie diese sich tatsächlich im konkreten Fall hochschaukeln, scheint nicht wirklich nachweisbar zu sein.
Ebner schreibt, dass sie zwar keine Lösungsansätze für die Probleme anbieten könne, aber wenn die heutige terroristische Bedrohung tatsächlich ein Teufelskreis sei, so habe dies „gravierende Folgen für die Bemühungen um Prävention und Terrorbekämpfung“ (272). In einem Teufelskreis ähnelten sich das Nachher und das Vorher, und dies müsse bei der Prävention berücksichtigt werden. Als Gegenbeispiel geht die Autorin auf Roosevelt ein. Dieser habe ein positives Narrativ gehabt und daher die Gegner nicht unbeabsichtigt gestärkt. Er habe seinem „Volk eine positive Vision“ (282) gegeben. Ebner kommt zu dem Schluss, dass man Extremisten zuhören müsse, „ohne sich bei ihnen anzubiedern.“ (287)

Julia Ebner hat ein Buch geschrieben, das leicht zu lesen ist und dennoch zum Genre der Fachliteratur gehört. Wer sich für Probleme des Terrorismus und der Radikalisierung in unserer Zeit interessiert, sollte dieses unabhängig von den genannten Einwänden durchaus spannende Werk lesen.

 

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Timo Stukenberg
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Armin Pfahl-Traughber
Das Verhältnis von Islamisten und Rechtsextremisten. Droht eine gemeinsame extremistische Front über den Antisemitismus?
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Rezension

Julia Ebner

Radikalisierungsmaschinen – Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren

Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Frankfurt am Main, Suhrkamp 2019

Julia Ebner trägt die These vor, dass die Politik dieser Tage Gefahr laufe, einer toxischen Paarung aus ideologischer Vergangenheitssehnsucht und technologischem Futurismus anheimzufallen. Denn Extremisten seien beim Bau ihrer „Radikalisierungsmaschinen“ technisch auf dem neusten Stand: künstlich intelligent, emotional manipulativ und ausgestattet mit Wirkungsmacht auf Gesellschaften weltweit. Die Autorin stellt in ihrer Analyse in Form eines Berichtskompendiums auf bestimmte Fragen ab, wie zum Beispiel nach den Arten der Mobilisierung von Unterstützung, wie Individuen in diese Netzwerke einbezogen und gehalten werden, wie sich soziale Dynamiken dort auswirken, welche Vorstellungen der Zukunft vorherrschen oder wie sich solche Bewegungen weiterentwickeln. 
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Aus der Annotierten Bibliografie

Gerhard Hirscher / Eckhard Jesse

Extremismus in Deutschland. Schwerpunkte, Vergleiche, Perspektiven

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2013 (Extremismus und Demokratie 26); 608 S.; 89,- €; ISBN 978-3-8487-0090-5
Die Beiträge gehen zurück auf eine Reihe von Veranstaltungen der Herausgeber, die diese in den vergangenen Jahren mit der CSU‑nahen Hanns‑Seidel‑Stiftung abgehalten haben. Neben Politikwissenschaftlern kommen auch Verwaltungs‑ und Polizeibeamte sowie Verfassungsschützer zu Wort. Diese definieren Extremismus als eine Ablehnung von Verfassungsstaat, Pluralismus und Parteiensystem. Extremismen sind demnach ferner geprägt von einem Freund‑Feind‑Denken und einem st...weiterlesen


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