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Ingo Pies / Martin Leschke (Hrsg.)

John Maynard Keynes' Gesellschaftstheorie

Tübingen: Mohr Siebeck 437 (Konzepte der Gesellschaftstheorie 20); VI, 293 S.; brosch., 39,- €; ISBN 978-3-16-153602-1
Alleine schon die schlagwortartige Nennung des Namen Keynes wird in vielen Debatten stellvertretend als selbsterklärende Theorie und Weltanschauung genutzt – kein Wunder, denn fast jeder politisch gebildete Mensch assoziiert mit diesem Namen ein theoretisch einflussreiches Gedankengebäude. So zählen die staatlich finanzierte Nachfragestimulierung und ein antizyklisches Ausgabeverhalten der öffentlichen Hand zur Konjunkturglättung in Rezessionsphasen zu den wohl bekanntesten Theoremen der Makroökonomie. Gerade weil sie seit den 1970er‑Jahren fast schon diskreditiert wurden und erst in der jüngsten Finanzkrise eine zaghafte Renaissance erfuhren, ist es verdienstvoll, dass sich die Autoren dieses Bandes dieser gesellschaftstheoretischen Überlegungen annehmen und sie explizit mit diversen Bezugnahmen auf die Biografie von Keynes zu deuten versuchen. Dazu zeichnet Ingo Pies den Lebensweg eines großbürgerlichen, feinsinnigen und kunstliebhabenden Ausnahmetalents nach, das über weit mehr Interessen als die Wirtschafswissenschaften verfügte. In dieser Überblicksdarstellung werden Positionen von Keynes aufgezeigt, die in den folgenden Beiträgen vertieft werden. Deutlich werden dabei verblüffende Parallelen zur heutigen Krisensituation – so etwa, wenn es um das „internationale Konfliktpotenzial von tendenziell unerfüllbaren Reparationsforderungen“ (9) oder die Gefahren einer „Stimmungsdemokratie“ (10) und eine daraus resultierende „Medien‑Kritik“ (14) geht. Pies macht aber auch deutlich, dass sich Keynes „als strikter Anti‑Inflationist und als Anhänger solider Staatsfinanzen sowie last not least als Verfechter der Marktwirtschaft“ (17) verstand. Walter Reese‑Schäfer, Thomas Döring und Dirk Sauerland vertiefen anschließend die Deutungen von Keynes‘ Einlassungen zum Versailler Vertrag. Insbesondere Döring macht darauf aufmerksam, dass Keynes hier die Grundlagen für einen verhaltensökonomischen Ansatz gelegt hat und damit seiner Zeit weit voraus war. Julia Köhn und Birger P. Priddat versuchen in ihrem Aufsatz aufzuzeigen, wie sehr sich in Keynes‘ Schriften liberales Gedankengut aus „dem klassischen Habitus des gentleman, in dem Keynes erzogen wurde“ (72), wiederfindet. Besonders anregend sind auch die Aufsätze von Eduard Braun und Mathias Erlei sowie Nils Otter, die sich mit Keynes‘ Überlegungen zur Weltwirtschaftskrise von 1929 auseinandersetzen und so auf die Aktualität dieses Theoretikers verweisen. Otter gibt auf Keynes’ Frage „Was ist falsch an unserer Theorie?“ die bemerkenswerte Antwort, dass „die Welt der sog. ‚Dynamic Stochastic General Equilibrium (DSGE)‘ Modelle […] sowohl theoretisch wie auch empirisch vorläufig gescheitert“ (196) sei.
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Rubrizierung: 5.425.455.22.3424.15.43 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Ingo Pies / Martin Leschke (Hrsg.): John Maynard Keynes' Gesellschaftstheorie Tübingen: 437, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39043-john-maynard-keynes-gesellschaftstheorie_46811, veröffentlicht am 05.11.2015. Buch-Nr.: 46811 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken