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Deutsches Polen-Institut (Hrsg.)

Jahrbuch Polen 2011. Band 22: Kultur

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2011; 235 S.; 11,80 €; ISBN 978-3-447-06482-8
Der Schwerpunkt „Kultur“ des aktuellen Polen-Jahrbuches lässt zunächst für die Politikwissenschaft nicht allzu viel Ertrag erwarten. Es kommen diesmal vor allem Literaten, Lyriker, Journalisten und Künstler zu Wort. Der Überblick zur polnischen Kulturpolitik der vergangenen 20 Jahre, den Anna Nasiłowska zu Beginn des Buches unternimmt, zeigt deutlich, wie umstritten der Kulturetat in der polnischen Politik ist. Dem Bemühen polnischer Kulturschaffender, ein öffentlich gefördertes System von Kultureinrichtungen zu erhalten und auszubauen, stehen teils polemisch formulierte Nutzenerwägungen von Wirtschafts- und Finanzpolitikern gegenüber. So bescheinigt Leszek Balcerowicz, der Kopf der liberalen – und höchst erfolgreichen – Wirtschaftspolitik Polens, im Interview den Kulturschaffenden die „Mentalität von Sowjetfunktionären“ (21), in ihren Institutionen herrsche Etatismus, Klientelismus, Verschwendung und übermäßiger Gewerkschaftseinfluss. Sehr interessant erscheinen auch die Ausführungen von Paweł Dunin-Wąsowicz über alternative Geschichte in der neuesten polnischen Literatur unter dem Titel „Die große Kompensation“. Damit ist schon angedeutet, welche historischen Ereignisse als Fiktion anders erdacht werden: Was wäre, wenn Polen 1939 den Krieg gegen Deutschland gewonnen hätte? Was, wenn Ribbentropp auf dem Rückflug von der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Paktes abgestürzt wäre und Polen einen Präventivkrieg hätte führen können? Wie hätte ein ungeteiltes Polen die europäische Geschichte beeinflussen können? So werden in dieser Literatur die – zum Teil kontrafaktischen, denn formal zählt Polen zu den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges – Traumata des deutsch-polnischen Verhältnisses bearbeitet. Philipp Goll und Stefanie Peter informieren über die Zeitschrift „KRYTYKA POLITYCZNA“ (Die Politische Kritik), die sich mit einer Reihe junger Autoren an einer Erneuerung der polnischen politischen Linken versucht. Wesentliche Triebfedern für die Gründung der Zeitschrift im Jahr 2002 waren das Unbehagen an der katholisch-nationalistischen Politik der Kaczyński-Zwillinge und ihrer Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) und der politisch-programmatischen Unfähigkeit der Postkommunisten des SLD (Bund der Demokratischen Linken). Mittlerweile haben sich rund um die Zeitschrift und den Verlag lokale Klubs gegründet, die sich mit einer Reihe kultureller und politischer Veranstaltungen in die Kommunalpolitik einbringen.
Sebastian Lasch (LA)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.61 | 2.23 | 2.263 Empfohlene Zitierweise: Sebastian Lasch, Rezension zu: Deutsches Polen-Institut (Hrsg.): Jahrbuch Polen 2011. Wiesbaden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34610-jahrbuch-polen-2011_41583, veröffentlicht am 15.03.2012. Buch-Nr.: 41583 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken