Auch das diesjährige Polen-Jahrbuch ist einem Schwerpunktthema gewidmet. In Essays, Kurzgeschichten und lyrischen Stücken werden Aspekte polnischer Urbanität in Geschichte und Gegenwart beleuchtet. Für den politikwissenschaftlichen Leser werden zwei Aufsätze von besonderem Interesse sein. In einem Rückblick auf das Jahr 2006 analysiert der Warschauer Ideenhistoriker Marcin Król jüngere politische Entwicklungen in Polen. Er muss ein komplettes Versagen der Politik konstatieren. Die Kaczyński-Regierung stand im letzten Jahr mehrfach vor Neuwahlen, eine kontinuierliche Politik sei nicht zu erkennen, vor allem fehle es völlig an ernsthafter politischer Programmatik. Die soziale Spaltung der polnischen Gesellschaft werde von Politikern ausgenutzt und populistisch verfestigt, es fehle an Aufstiegschancen für Junge, der politische Minimalkonsens sei gefährdet. Als Konsequenz dieser Entwicklungen sei „der polnische Patriotismus fast auf null zurückgegangen“ (205), drohe gar die Auflösung der polnischen Nation. Anna Wolff-Powęska setzt sich mit der enormen Konjunktur von Geschichtspolitik in Polen auseinander. Im Inneren wurde die geschichtspolitische Auseinandersetzung vor allem um die Fragen der Lustration („Durchleuchtung“ der Vergangenheit im kommunistischen System), der patriotischen Erziehung, der Minderheiten und der konsequenten Abwendung von der sozialistischen Vergangenheit geführt. Nach außen ging es vor allem um die Selbstdarstellung Polens, um die Frage der Entschädigungen und um das Verhältnis zu den Nachbarn. Dem dabei zutage getretenen affirmativen Patriotismus stellt Wolff-Powęska ihre Vorstellungen eines kritischen Patriotismus gegenüber. Im Anhang findet sich eine sehr nützliche Chronik zu Polen und den deutsch-polnischen Beziehungen im Jahr 2006.