
Islamische Ethik und moderne Gesellschaft im Islamismus von Yusuf al-Qaradawi
Diss. Erlangen-Nürnberg; Gutachter: W. Fischer. – Der Autor hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Muslimbruder Yusuf al-Qaradawi – zweifelsohne einer der gegenwärtig prominentesten wie umstrittensten islamistischen Denker – innerhalb des sich zunehmend ausdifferenzierenden islamistischen Diskurses zu verorten. Für ihn gilt es zu klären, inwiefern al-Qaradawi eher den modernistischen oder den konservativen Strömungen zuzuordnen ist. Er setzt al-Qaradawis Argumente in Beziehung zu den Ausführungen des Begründers der Muslimbruderschaft Hasan al-Banna, dem Vordenker heutiger gewaltbereiter Islamisten Sayyid Qutb sowie dem muslimischen Modernisierer des 19. Jahrhunderts Muhammad Abduh. Die genaue Verortung wird dadurch erschwert, dass al-Qaradawi einerseits die muslimischen Gesellschaften in den Bereichen der Wissenschaft und Technik, der Wirtschaft und des politischen Systems modernisieren, jedoch gleichzeitig auch an der herausgehobenen Stellung der Religionsgelehrten sowohl gegenüber islamistischen Eiferer als auch säkularen Reformern festhalten möchte. Ähnlich widersprüchlich ist al-Qaradawis Haltung in der Frage der politischen Gewalt, die er, wie vom Autor beschrieben, im innerislamischen Kontext ausschließt. Gleichzeitig propagiert er jedoch, von Wenzel-Teuber nicht weiter thematisiert, die Gewaltanwendung gegen nicht-muslimische Zivilisten, vor allem Israelis und U. S.-Amerikaner. Für den Autor ist die Hinwendung al-Qaradawis zur Moderne ernsthaft genug, um ihn als Beleg für die Hinfälligkeit der einfachen Gegenüberstellung von „Tradition“ und „Islam“ sowie der „Moderne“ und „dem Westen“ anzuführen.