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Byung-Chul Han

Im Schwarm. Ansichten des Digitalen

Berlin: Matthes & Seitz 2013; 109 S.; 12,80 €; ISBN 978-3-88221-037-8
Die deutsche Politikwissenschaft beurteilt die Frage, welche Auswirkungen das Internet auf politische Entscheidungsfindungsprozesse hat, ambivalent. Während die einen euphorisch ganz neue Demokratisierungspotenziale im World Wide Web erkennen, verweisen die Kritiker auf die bescheidenen politischen Mobilisierungserfolge in Deutschland. Als Philosoph und Kulturwissenschaftler hat Byung‑Chul Han das Privileg, sich auf einer theoretischen Metaebene mit gesellschaftlichen Digitalisierungsprozessen befassen zu können. Er tut dies mit der ihm eigenen Abstraktheit und Pointiertheit und sein Urteil fällt dabei negativ aus. Den Ausgangspunkt seiner Kritik an der gesellschaftlichen Deformation durch das Internet bildet dabei immer wieder die neue Google‑Brille („Google Glass“), die die neue „Jägeroptik“ des Menschen totalisiere, da sie alles ausblende, „was keine Beute, das heißt, keine Information verspricht“ (60). Diese neue Fixierung auf den Konsum eines Höchstmaßes an verfügbarer Information habe – so Han – diverse fatale Folgen: „Sprache und Kultur verflachen“, die „Zukunft als Zeit des Politischen verschwindet“ (29), der individuelle Narzissmus, eine „Vereinzelung des Menschen“ sowie „Zwänge in Form von Leistung, Selbstoptimierung und Selbstausbeutung“ (65) würden gefördert. Was als großes kulturpessimistisches Wehklagen daherkommt – zumal es stellenweise in einer etwas arg apodiktischen Weise vorgetragen wird – besticht gleichwohl durch die Klarheit der Gedankenführung. Die kurzen Kapitel bieten Betrachtungen zu einzelnen Aspekten der gesellschaftlichen Digitalisierung. Sie sind deshalb so wertvoll, weil sie neue Perspektiven eröffnen – auch wenn man bei Han alternative Entwürfe zu einer Gesellschaft mit weniger oder ohne Internet vergeblich sucht. Die neuen Blickwinkel entwickelt Han nicht zuletzt durch seine etymologischen Ausführungen, wenn er beispielsweise gleich zu Beginn auf den Unterschied zwischen „respectare“ und „spectare“ verweist. Das „Zurückblicken“ und die „Rücksicht“ müssten in der digitalen Gesellschaft dem „Spektakel“ (7) der Skandalgesellschaft weichen, die eine „pornografische Ausstellung der Intimität und Privatsphäre“ (8) fördere. Auch für die Politik seien mit den veränderten Kommunikationsformen grundlegende Veränderungen verbunden: In Zeiten unmittelbarer Echtzeitkommunikation würden „Vermittlung und Repräsentation […] als Intransparenz und Ineffizienz, als Zeit‑ und Informationsstau interpretiert“ (26). Die Entmediatisierung der politischen Kommunikation führe dazu, dass Politiker sagen könnten: „Ich bin meine Wählerschaft“ (29). Denn die permanente Rückkoppelung an den Wähler über das Web 2.0 sei mit einem Ende von Visionen und einem wachsenden Konformismus verbunden.
{HS}
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Byung-Chul Han: Im Schwarm. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37985-im-schwarm_44689, veröffentlicht am 22.01.2015. Buch-Nr.: 44689 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken