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Thomas Schölderle (Hrsg.)

Idealstaat oder Gedankenexperiment? Zum Staatsverständnis in den klassischen Utopien

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Staatsverständnisse 67); 320 S.; brosch., 52,- €; ISBN 978-3-8487-0312-8
Zu den wichtigsten Herausforderungen der Utopieforschung zählt zweifellos die Beantwortung der Frage nach der Intention eines utopischen Werkes. Handelt es sich etwa um einen konkreten Vorschlag zur Ausgestaltung einer Gesellschaft, um eine reine Kritik bestehender Verhältnisse oder aber um ein Gedankenexperiment zu spezifischen Aspekten menschlichen Zusammenlebens? Dieser Problematik geht der von Thomas Schölderle herausgegebene Sammelband mit 13 Beiträgen nach. Schölderle hat bereits 2011 eine umfassende Betrachtung der Utopie vorgelegt (siehe Buch‑Nr. 40560) und möchte nun vor allem Missverständnisse in Hinsicht auf den Anspruch utopischer Schriften aufklären. Viele der Beiträge werfen freilich zwar kein gänzlich neues Licht auf die besprochenen Werke, sie schaffen es aber vereinzelt sehr gut, neue Perspektiven in den utopischen Diskurs einzubringen und bestehende Erkenntnisse zu konsolidieren. So zum Beispiel wird die oft mit religiöser Symbolik beladene Sonnenstadt Tomasso Campanellas von Peter Kuon überraschenderweise als Ausdruck des Vernunftsprinzips, also als eine eher weltliche Betrachtungsweise interpretiert. Dies überrascht, da man Campanella stets durch seine Zugehörigkeit zum Dominikanerorden als stark religiös verankerten Philosophen wahrnimmt. Die möglichen Intentionen der Utopieforscher werden unter Anwendung sozial‑ und politikwissenschaftlicher Methodik analysiert und in den Gesamtkontext einer utopischen Begriffsbestimmung eingeordnet. Gerade bei dieser Literaturgattung ist es aus Ermangelung der Verfügbarkeit eines tatsächlichen experimentellen Versuchsaufbaus zwingend notwendig, auf eine rege gedankliche Auseinandersetzung und Extrapolation zurückzugreifen. Umso wichtiger ist es, eine Reihe von Interpretationsmöglichkeiten, die sich dem historischen Kontext der entsprechenden Werke annehmen, anzubieten. Dem Sammelband gelingt dies gerade deshalb, weil er sich pointiert mit einer Fragestellung auseinandersetzt, auf deren Beantwortung hingearbeitet wird. Diese fällt jedoch nicht so eindeutig aus, wie es durch den Titel des Bandes suggeriert wird. Allerdings ist das aufgrund der heterogenen Natur der Utopie ohnehin sehr schwierig. Auch wenn die ausgewählten Werke nur exemplarisch für eine historisch gewachsene Denktradition stehen, ermöglichen sie dem Leser ein fundiertes Bild darüber, inwiefern die Utopie als Teil eines politischen Programms zur Schaffung staatlicher Institutionen oder aber als Antizipation realer gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet werden kann.
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Rubrizierung: 5.1 | 5.31 | 5.32 | 5.33 | 5.42 Empfohlene Zitierweise: Fabian Beigang, Rezension zu: Thomas Schölderle (Hrsg.): Idealstaat oder Gedankenexperiment? Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38144-idealstaat-oder-gedankenexperiment_46541, veröffentlicht am 05.03.2015. Buch-Nr.: 46541 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken