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Max-Otto Baumann

Humanitäre Interventionen. Struktureller Wandel in der internationalen Politik durch Staateninteraktion

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Internationale Beziehungen 21); 371 S.; brosch., 58,- €; ISBN 978-3-8487-1662-3
Diss. Heidelberg; Begutachtung: S. Harnisch, R. Wolf. – Wohl kaum eine internationale Norm ist in der jüngeren Vergangenheit so intensiv und kontrovers diskutiert worden wie die humanitäre Interventionen legitimierende Schutzverantwortung (Responsibility to Protect, R2P). Max‑Otto Baumann geht es in seiner politikwissenschaftlichen Dissertation darum, die Entwicklung von Praxis und Norm humanitärer Interventionen seit dem Kalten Krieg zu klären, um hieran anknüpfend eine theoretische Begründung für die Normentstehung zu finden. Diese soll auf Interaktions‑ und Sozialisationsprozessen basieren und als „handlungstheoretische Alternative zu den überwiegend strukturalistischen Ansätzen der IB‑Normen‑ und Sozialisationsforschung“ (13) verstanden werden. Seine Arbeit unterscheidet sich von der überwiegenden Mehrheit der wissenschaftlichen Literatur zu R2P darin, dass humanitäre Interventionen hier dezidiert als sicherheitspolitisches Problem verstanden und darüber hinaus in einem perspektivischen Wechsel Entwicklungsländer zu Subjekten eines Normwandelungsprozesses werden. Theoretisch gelingt Baumann dies unter Rückgriff auf Alexander Wendts Sozialer Theorie der Internationalen Beziehungen – erweitert und ergänzt um den Interaktionismus nach George H. Mead. Indem er ein Konzept von Agency und Wandel vorlegt, dass den Normenwandel mithilfe von pragmatisch beziehungsweise praxisorientiert ausgelegter Rollenverständnisse interaktionistisch versteht, will der Autor den „Bereich strategischen Handelns, der bislang rationalistischen Analysen überlassen wurde (Realismus, rhetorisches Handeln), für sozialkonstruktivistische Analysen zugänglich“ (55) machen. Mittels einer auf diesem theoretischen Rahmen basierenden Interaktionsanalyse werden von Baumann dazu in fünf Fällen von Interventionen – Irak 1990, Somalia und Bosnien, Kosovo und Darfur – die Rolle von vier Akteuren – USA, Arabische Liga, Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und China – bei der Entwicklung einer humanitären Interventionsnorm analysiert. Das Interaktionsverhalten der nichtwestlichen Staaten weist dabei ein breites Spektrum auf. Die Staaten neigen von der Kooperation bis zur Obstruktion. In jedem Fall aber – und hier ist der Hauptwiderspruch zu den dominanten Normtheorien in den IB zu sehen – ist im Sinne der Logik der Interaktion „ein wechselhaftes und wechselseitiges Verhalten und damit insgesamt ei[n] kurvenreiche[r] Prozess der Normgenese“ (316) die Realität. Die Empirie gibt Baumann hier recht – in den von ihm betrachteten Fällen kann keinem der analysierten Staaten ein konstantes Rollenverhalten und eine damit einhergehende konstante Haltung zu humanitären Interventionen nachgewiesen werden.
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Rubrizierung: 4.414.12.612.632.674.22 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Max-Otto Baumann: Humanitäre Interventionen. Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38330-humanitaere-interventionen_46548, veröffentlicht am 23.04.2015. Buch-Nr.: 46548 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken