Diss. Bonn; Begutachtung: F. Decker, N. Ringe. – Politik in Parlamenten wird zweifelsohne von Regierungsmehrheit und Opposition geprägt, die auch in Form von Parteikoalitionen auftreten. Ausgehend von diesem Befund widmet sich Stefan Thierse dem Europäischen Parlament. Auch dieses ist durch Parteien und Fraktionen gekennzeichnet und stellt, so der Autor, das am stärksten parteipolitisch geprägte Organ der EU dar. Allerdings fehlt im politischen System der EU die Konfliktlinie zwischen Regierungsmehrheit und Opposition – wie kann also das Agieren der opponierenden Minderheit erfasst und analysiert werden? Dabei ist „die Schwierigkeit, Opposition dingfest zu machen“ (63), auch in Parlamenten mit klarer Mehrheit und Minderheit ein Problem. Thierse schlägt hier eine Analyse der Nutzung der Minderheitenrechte durch Fraktionen im Europäischen Parlament vor, die im Besonderen „mit dem innerparlamentarischen Parteienwettbewerb“ (26) verbunden sind. Daher steht die Möglichkeit, Änderungsanträge im Plenum einzureichen und das Recht, namentliche Abstimmungen zu beantragen, im Fokus der Arbeit. In der Untersuchung werden sowohl quantitative als auch qualitative Methoden genutzt und anhand des Fallbeispiels der Chemikalienverordnung REACH die Annahmen zur Konzeption von Opposition im EU‑Parlament getestet. Der Autor zeigt so, dass Opposition im Europäischen Parlament durch einen Themenbezug (issue‑oriented) ad‑hoc gegründet wird, dadurch aber flüchtig ist. Opposition im Europäischen Parlament hat nicht die idealtypische Rolle einer „Alternativregierung im Wartestand“ (313). Das politische System der Europäischen Union stellt mit seinem Sui‑generis‑Charakter eine Herausforderung für den Vergleich politischer Systeme dar. Thierse bietet mit seiner Konzeption von Opposition einen Ansatz, der den Vergleich mit nationalen politischen Systemen ermöglicht und leistet so einen wichtigen Beitrag für vertiefende und vergleichende Analysen.