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Ulrich Weißgerber

Giftige Worte der SED-Diktatur. Sprache als Instrument von Machtausübung und Ausgrenzung in der SBZ und der DDR

Berlin: Lit 2010 (Diktatur und Widerstand 15); 406 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-643-10429-8
Victor Klemperer hat in seiner Analyse zur Sprache des Dritten Reiches bemerkt, dass durch Sprache nicht nur gedichtet und gedacht wird, sondern dass sie auch Gefühle und das Seelenleben steuern kann und daher festgestellt: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ (13) Anknüpfend an diese Einsicht hat sich Weißgerber entschieden, die offizielle Sprache der DDR zu analysieren. Als Ergebnis liegt nun ein übersichtliches Wörterbuch vor, in dem die von Systemrepräsentanten häufig verwendeten politischen Begriffe und deren Etymologie, beispielhafte Fälle sowie teilweise auch ein erklärender geschichtlicher Kontext nachgelesen werden können. Weißgerber verfolgt mit Blick auf die Instrumentalisierung der Sprache durch die SED auch eine kritische Absicht: Er möchte mithilfe seiner Begriffserklärungen und deren Kontextualisierung auf jene Menschenrechtsverletzungen durch die SED hinweisen, die nichts mit einem humanistischen Sozialismus, sondern vielmehr etwas mit menschenverachtendem Verhalten zu tun haben. Damit verwehrt sich Weißgerber ausdrücklich gegen die Verharmlosung des DDR-Regimes und gegen eine Reduzierung der DDR-Sprache auf Ausdrücke wie Broiler oder Trabi. Vielmehr macht er darauf aufmerksam, dass eine Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit auch durch die Untersuchung der politischen Sprache notwendig und eine gesellschaftliche Aufgabe ist, ohne die eine Vermittlung demokratischer Wertorientierungen ins Leere laufen muss. Dass er dieses Anliegen gut umsetzen kann, sei an folgendem Beispiel kurz dargestellt: Mit dem unbestimmten Begriff „Schädlingstätigkeit“ bezeichneten die SED, das MfS sowie Gerichte der DDR von 1949 bis 1968 Aktivitäten, durch die angeblich vorsätzlich staatliche und genossenschaftliche Einrichtungen oder Betriebe in ihren geordneten Tätigkeiten behindert wurden. De facto wurden bei Unfällen und Unregelmäßigkeiten in Betrieben (etwa Lebensmittelvergiftungen durch mangelhafte Hygiene in Großküchen) sofort Strafverfahren wegen Schädlingstätigkeit eingeleitet, die die eigenen Schwierigkeiten kaschieren und unpopuläre Maßnahmen begründen sollten.
Ines Weber (IW)
M. A., Politikwissenschaftlerin (Kommunikationswissenschaftlerin, Psychologin), wiss. Mitarbeiterin, Institut für Sozialwissenschaften, Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.314 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Ines Weber, Rezension zu: Ulrich Weißgerber: Giftige Worte der SED-Diktatur. Berlin: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34408-giftige-worte-der-sed-diktatur_41319, veröffentlicht am 27.01.2012. Buch-Nr.: 41319 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken