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Anna Schor-Tschudnowskaja

Gesellschaftliches Selbstbewusstsein und politische Kultur im postsowjetischen Russland. Eine Studie zu den Deutungsmustern "eigen", "unser" und "fremd"

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2011 (Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung 14); 299 S.; brosch., 54,- €; ISBN 978-3-8329-6878-6
Diss. Fulda; Begutachtung: M. Ritter. – Der Sprachgebrauch und die damit verbundenen Deutungsmuster sagen nach Meinung der Autorin viel über eine Gesellschaft aus. Das Wissen über und der Umgang mit diesen Deutungsmustern zeigten, wie sehr die Gesellschaft in der Lage sei, andere Perspektiven einzunehmen und sich selbstbezüglich bewusst zu werden. Die beiden Fähigkeiten des Perspektivenwechsels und der Reflexivität sind aus Sicht von Schor-Tschudnowskaja das Fundament der Demokratie. Die Wörter „eigen“, „unser“ und „fremd“ beispielsweise sind – seitdem Wladimir Putin dort regiert – im öffentlichen Sprachgebrauch Russlands sehr populär. Deshalb unternimmt die Autorin eine erklärende Analyse der damit verbundenen Deutungsmuster. Damit möchte sie mehr über das gesellschaftliche Selbstbewusstsein und die politische Kultur im postsowjetischen Russland herausfinden. Anhand von standardisierten und themenspezifischen Interviews von Studierenden kommt sie zu folgendem Ergebnis: Für die erste postsowjetische Generation, die nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 aufwuchs, sind die Deutungsmuster „eigen“, „unser“ und „fremd“ sehr diffus und inhaltsleer. Für 75 Prozent der Befragten haben sie keine politische Bedeutung und das hat nach Einschätzung der Autorin Folgen für die russländische Gesellschaft: Die geringe politische Relevanz der Deutungsmuster mache sie anfällig für Propaganda und politische Manipulation. Zudem zeige sich, dass das gesellschaftliche Selbstbewusstsein in Russland brüchig sei und es nur eine unterentwickelte politische Kultur gebe. Somit zieht die Autorin folgendes Fazit: „Eine politische Kultur, die (1) das autoritäre Erbe nicht reflexiv verarbeitet hat und (2) Politik auf die Kontrolle von Loyalität und das korrupte Ringen um manipulativ gebrachte Etiketten der ‚Zugehörigkeit’ reduziert, steht dem Aufbau eines entwicklungsfähigen gesellschaftlichen Selbst im Weg.“ (276)
Wilhelm Johann Siemers (SIE)
Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
Rubrizierung: 2.62 | 2.2 | 2.23 | 2.25 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Wilhelm Johann Siemers, Rezension zu: Anna Schor-Tschudnowskaja: Gesellschaftliches Selbstbewusstsein und politische Kultur im postsowjetischen Russland. Baden-Baden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34850-gesellschaftliches-selbstbewusstsein-und-politische-kultur-im-postsowjetischen-russland_41894, veröffentlicht am 12.04.2012. Buch-Nr.: 41894 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken