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Włodzimierz Borodziej

Geschichte Polens im 20. Jahrhundert

München: C. H. Beck 2010 (Europäische Geschichte im 20. Jahrhundert); 489 S.; hardc., 39,95 €; ISBN 978-3-406-60647-2
Es gibt leichtere Themen für voluminöse Monografien als die polnische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Mit Borodziej, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Warschau, nimmt sich ein ausgewiesener Kenner dieser schwierigen Materie an. Das Problem einer Gesamtdarstellung der Geschichte Polens im 20. Jahrhundert liegt sowohl in einer zugleich präzisen wie nachvollziehbaren Schilderung der Ereignisse als auch und vor allem in den besonderen Anforderungen an die Urteilskraft des Historikers. Im polnischen Nationalbewusstsein – so scheint es jedenfalls dem deutschen Beobachter – springt die Sicht auf die eigene Geschichte allzu oft unvermittelt zwischen der Betonung der Opferrolle und einer Selbststilisierung als größte und heiligste der Nationen hin und her. Borodziej gelingt es, beide Extreme zu vermeiden und einen nüchternen, beinahe lakonischen und sorgfältig abwägenden Blick auf die jüngere polnische Nationalgeschichte zu werfen. Im methodischen Zugriff der Studie harmoniert ein sozialgeschichtlicher Ansatz aufs Beste mit einem politikgeschichtlichen Schwerpunkt in der Gliederung des Stoffes. Für den deutschen Leser haben womöglich insbesondere die beiden ersten Kapitel über die Geschichte Polens bis zum Jahr 1939 Neuigkeitswert. So sind etwa die Ereignisse rund um die Grenzziehung und Staatsgründung in den Jahren nach 1918 sehr anschaulich dargestellt. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges wird in dem Buch relativ knapp abgehandelt, während die Periode von 1945 bis 1989 größeren Raum bekommt. Hier ist es bedrückend zu lesen, wie sehr sich der Verlauf der Stalinisierung in der Volksrepublik Polen und der SBZ/DDR ähnelt. Völlig anders als in der DDR und immer wieder beeindruckend erscheint dagegen der im Prinzip kontinuierliche, sich in mehreren Erhebungen zum Ausdruck bringende polnische Widerstand gegen die sowjetisch-kommunistische Diktatur. Die Darstellung und Bewertung der demokratischen Transformation und Konsolidierung bleibt dem knapp-lakonischen Prinzip des Buches auch in der Schlussbemerkung treu: Gute zehn Jahre nach dem Ende des Kommunismus in Polen ist die Lebenserwartung bei Männern um vier Jahre gestiegen, die Säuglingssterblichkeit wurde um zwei Drittel reduziert und die Zahl der Studenten hat sich verdreifacht.
Sebastian Lasch (LA)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.614.22 Empfohlene Zitierweise: Sebastian Lasch, Rezension zu: Włodzimierz Borodziej: Geschichte Polens im 20. Jahrhundert München: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33178-geschichte-polens-im-20-jahrhundert_39657, veröffentlicht am 15.02.2011. Buch-Nr.: 39657 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken