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Andrea Nachtigall

Gendering 9/11. Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des "War on Terror"

Bielefeld: transcript Verlag 2012 (Kultur und soziale Praxis); 474 S.; kart., 34,80 €; ISBN 978-3-8376-2111-2
Diss. FU Berlin; Begutachtung: W.-D. Narr, S. Berghahn. – Muss man Terrorismus gendern? Und wenn man es tut, bringt das was? Nach der Lektüre dieser Arbeit kommt man nicht umhin, beide Fragen mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. In ihrer Analyse der Medienberichterstattung zum sogenannten Krieg gegen den Terror – exemplarisch anhand von Artikeln aus dem Spiegel und der FAZ durchgeführt – verfolgt Andrea Nachtigall ein doppeltes Erkenntnisinteresse. Sie „beschäftigt sich mit den medialen Deutungen von ‚Terror’ und dem ‚Krieg gegen den Terror’ – nicht mit den Ereignissen [...]“. Zum anderen fragt sie nach den „Geschlechterbildern, die mit den medialen Deutungen von ‚Terror’ und ‚Krieg’ einhergehen, also nach den geschlechtlichen Rollen- und Identitätszuschreibungen [...] und ihrer Funktion.“ (11) Dabei gelingt es Nachtigall zu zeigen, dass nachgerade klassische Rollenzuschreibungen entlang der Unterscheidung Mann/Frau auch in der asymmetrischen Kriegführung des 21. Jahrhunderts noch als Legitimierungsmuster für politische Entscheidungen herhalten. So werde etwa ganz grundsätzlich die Irrationalität des Terrors weiblich, die Rationalität des Krieges hingegen männlich konnotiert. Ähnlich funktioniert die Zuschreibung von legitimierenden Attributen mit Blick auf den Afghanistankrieg. Auf der einen Seite steht die „unterdrückte afghanische Frau“, auf der anderen der „heldenhafte westliche Retter“ (13), sodass in der Bezugnahme der beiden Akteure aufeinander die Abhängigkeit der schwachen Frau von einem starken Mann plausibilisiert werden kann. Auf politischer Ebene wird aus dieser Abhängigkeit, aus diesem Errettungsbedürfnis, die Notwendigkeit einer militärischen Intervention im Rahmen eines „gerechten Krieges“ abgeleitet. In ihrer überaus materialreichen Studie gelingt es Nachtigall eindrucksvoll, die nach wie vor unverzichtbare Funktion von medial konstruierten Stereotypen zur Mobilisierung von Einverständnis und politischer Legitimität zu verdeutlichen. Mit Blick auf die Metadimension der Analyse – also auf den tatsächlichen Stand der Gleichberechtigung von Mann und Frau – stellt sich indes über den Kontext der Arbeit hinaus die Frage, wie es künftig gelingen kann, gegen derlei eindimensionale Attribuierungen und vor allem ihre politische Instrumentalisierung anzugehen.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.36 | 2.333 | 2.25 | 4.41 | 2.68 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Andrea Nachtigall: Gendering 9/11. Bielefeld: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35599-gendering-911_42957, veröffentlicht am 20.12.2012. Buch-Nr.: 42957 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken