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Wolfgang Streeck

Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus

Berlin: Suhrkamp 2013 (Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2012); 271 S.; 24,95 €; ISBN 978-3-518-58592-4
In dieser erweiterten Fassung seiner 2012 in Frankfurt gehaltenen Adorno‑Vorlesungen behandelt Wolfgang Streeck die Finanz‑ und Fiskalkrise des gegenwärtigen Kapitalismus unter zwei Prämissen. Zum einen knüpft er explizit an die marxistisch inspirierten Krisentheorien der 60er‑ und 70er‑Jahre an, weil ohne Bezug auf die Tradition der politischen Ökonomie das, was seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 geschehen ist, unverständlich bleibt. Zum anderen rücken seine Analysen die gesamtgesellschaftliche Entwicklung seit Ende der 60er‑Jahre in einen historischen Zusammenhang, der zur „Auflösung des Regimes des demokratischen Kapitalismus der Nachkriegszeit“ (10) führt. Die Logik dieses Prozesses beruht – systemisch gesehen – auf dem Versuch, destabilisierende soziale Konflikte durch „Kaufen von Zeit mit Hilfe von Geld“ (15) zu entschärfen; dies in der Abfolge von Inflation, Staatsverschuldung, Expansion der privaten Kreditmärkte und Ankauf von Staats‑ und Bankschulden durch die Zentralbanken. Die Vorlesungen untersuchen diese Sequenz in drei Schritten. Zunächst geht es anhand des Zusammenhangs von Finanz‑, Fiskal‑ und Wachstumskrise um die Bedeutung von Legitimationskrisen im Spätkapitalismus; die in den 80er‑Jahren im Zuge des erstarkenden Neoliberalismus erfolgende Ablösung des Steuerstaates durch den Schuldenstaat ist Gegenstand des zweiten Teils. Der dritte Teil stellt den sich im Kontext der europäischen Integration unter fiskalischen Imperativen herausbildenden Konsolidierungsstaat als gegenwärtige Form kapitalistischer Staatlichkeit heraus. Auch wenn man Streecks abschließendes politisches Votum für eine Auflösung der Europäischen Währungsunion und damit für eine Rückkehr zu einem System flexibler Wechselkurse in Europa nicht teilt, so ist seine entschiedene Kritik an der vom Neoliberalismus betriebenen und institutionell vom europäischen Mehrebenensystem geförderten Transformation der (nationalstaatlichen) Demokratie von hoher Plausibilität. Der sich herausbildende europäische Konsolidierungsstaat umschreibt eine Konstellation von Governance statt Government, in der im Zweifelsfall Ansprüche der Finanzmärkte statt der der Bürger bedient werden, Märkte Demokratie domestizieren statt umgekehrt Demokratie die Märkte regulieren.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.2 | 3.5 | 2.21 | 5.41 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Wolfgang Streeck: Gekaufte Zeit. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36781-gekaufte-zeit_43834, veröffentlicht am 27.02.2014. Buch-Nr.: 43834 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken