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Christian Haberecht / Boris Herrmann (Hrsg.)

Fußball und nationale Identität in Europa

Berlin: Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2009; 153 S.; 21,- €; ISBN 978-3-86573-496-9
Der deutsche Fußballweltmeistertitel 1954 als nachholendes Gründungsmoment der Bundesrepublik, eine bei der WM 2010 beschwingt aufspielende deutsche Nationalmannschaft als Symbol eines offenen, multikulturellen Landes – das sind Beispiele für die enge Verbindung zwischen einer eigentlich antinationalen Sportart und ihrer vorherrschenden Wahrnehmung als Teil nationaler Identität. In dem Sammelband, der im Rahmen eines Seminars an der FU Berlin entstand, wird Fußball in neun Einzelfallstudien als „Objekt der Kulturproduktion“ (7) untersucht. Die Autoren konzentrieren sich auf jeweils einzelne europäische Fußballnationen und zeigen, wie der Sport eine Projektionsfläche für nationale Identitätskonstruktionen bietet, denen je nach Region und Zeitpunkt unterschiedliche Funktionen zugeschrieben werden können. Sie analysieren u. a. die Bedeutung des FC Barcelona für die katalanische Identität (Jessica Baxmann), die Konstruktion schottischer und walisischer Identitäten im britischen Fußball (Alice Drouin) sowie die Medienberichterstattung über deutsch-türkische Unterstützer der hiesigen Nationalmannschaft (Jeldrik Hanschke). Das integrative Potenzial des Sports zeigt Justus Dreyling am Beispiel der arabischen Minderheit im israelischen Fußball. Letzterer kennt keine jüdisch-arabische Konfliktlinie zwischen Fans, Spielern oder Vereinen; das Vorherrschen lokaler Identitäten und ein von arabischen Vereinen und Fans bewusst betriebenes Aussparen national-palästinensischer Symbolik sorgt für einen neutralen, nicht-exklusiv interpretierten Raum. Dagegen schildert Vojin Šerbedžija in seiner Darstellung des auseinanderbrechenden Jugoslawiens, wie z. B. das durch große Ausschreitungen gekennzeichnete Spiel zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad im Mai 1990 allegorisch aufgeladen wurde. Die gewaltbereiten Ultras beider Seiten sollten in den Zerfallskriegen eine erhebliche Rolle in den paramilitärischen Verbänden spielen. Insgesamt enthält der Band durchweg gut lesbare, analytisch wertvolle Beiträge, die auf eine weitere Intensivierung der Forschung zum Zusammenhang zwischen Sport und Identität hoffen lassen.
Christian Haas (CHA)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.23 | 2.4 | 2.61 | 2.63 | 2.67 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Christian Haas, Rezension zu: Christian Haberecht / Boris Herrmann (Hrsg.): Fußball und nationale Identität in Europa Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32716-fussball-und-nationale-identitaet-in-europa_39056, veröffentlicht am 24.08.2010. Buch-Nr.: 39056 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken