Skip to main content
Martin Beck

Friedensprozess im Nahen Osten. Rationalität, Kooperation und politische Rente im Vorderen Orient

Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002; 436 S.; brosch., 37,90 €; ISBN 3-531-13724-7
Habilitationsschrift Tübingen; Gutachter: P. Pawelka, V. Rittberger, U. Steinbach, A. Boeckh. - Der Autor hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Nicht weniger als drei zentrale Aspekte des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses möchte er in theoretisch anspruchsvoller und insoweit für Regionalstudien zur nahöstlichen Krisenregion nicht eben selbstverständlicher Form erklären: erstens den Übergang von der Konfrontation zur sich im Osloer Vertragswerk manifestierenden (begrenzten) Kooperation, zweitens die negative Friedensdividende und die Entwicklung eines neo-patrimonialen Systems in den palästinensischen Autonomiegebieten sowie schließlich drittens die permanente Krisenanfälligkeit und die gleichzeitige (bis zum Herbst 2000 zu konstatierende) relative Robustheit des Verhandlungsprozesses. Beck bedient sich dabei zunächst des Rational-Choice-Ansatzes und modelliert den Konflikt zwischen Israel und der PLO als Gefangenendilemma. Zwar lässt sich herausarbeiten, dass die Präferenzordnungen der in ihrem Territorial- und Herrschaftskonflikt Gefangenen mit Blick auf die mutmaßliche Fortexistenz des Feindes einem allmählichen Wandel unterliegen und sich dabei auch Anreize zur Kooperation entwickeln. Erst die krisenhafte Entwicklung, die die PLO nach dem zweiten Golfkrieg erfasst, bewirkt jedoch den Umschwung von der Politik der Pistole zur Politik des Olivenzweigs. Beck greift hier - und an keiner anderen Stelle der Arbeit ist der Einfluss seines geistigen Mentors Pawelka deutlicher zu erkennen - auf das Rentenkonzept zurück. Mit den ausbleibenden Rentenflüssen gerät die palästinensische Führung Anfang der Neunzigerjahre in eine ihre politische Existenz gefährdende Krise, die zur strategischen Neupositionierung führt und den Weg nach Oslo ebnet. Ökonomische und politische Renten sind es allerdings auch, die eine Demokratisierung der im Gefolge von Oslo II gebildeten Autonomiebehörde verhindern. Im Interesse einer Stabilisierung des Friedensprozesses bezieht Arafat von externen Akteuren wie EU und Weltbank ökonomische (und auch politische) Renten, die er - unproduktiv - zur Etablierung und zum Ausbau eines auf ihn zugeschnittenen autoritären Herrschaftssystems einsetzt. Unfreiwillig trägt auch die israelische Politik der "closures" and "curfews" zur Etablierung dieses Systems bei, indem sie den privaten Sektor schwächt und zugleich zu einer negativen Friedensdividende für die palästinensische Gesellschaft beiträgt. Für die Instabilität des Verhandlungssystems zwischen Israel und den Palästinensern schließlich macht der Verfasser vor allem Konstruktionsmängel der zugunsten Israels asymmetrisch gestalteten Osloer Verträge ("die defekte Architektur der Kooperation" [402]) sowie Veto-Positionen und -Potenziale von wichtigen gesellschaftlichen Akteuren in beiden Gesellschaften, insbesondere der israelischen Siedlerbewegung verantwortlich. Diese Faktoren vor allem hätten dazu geführt, dass der durch internationale Akteure immer wieder geförderte Friedensprozess Ende 2000 kollabiert ist. Man muss Beck weder in allen Details seiner Analyse und Bewertung folgen noch ein glühender Verfechter von Rational Choice sein, um die auf ausgezeichneten Kenntnissen des Konflikts basierende Argumentation und die theoretisch ausgereiften Erklärungsansätze zu würdigen. Dem Verfasser ist allemal ein höchst instruktives, stellenweise brillantes Werk gelungen, das im Übrigen durch eine übersichtliche Gliederung noch zusätzlich an Wert gewonnen hätte.
Michael Edinger (ME)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Sonderforschungsbereich 580, Universität Jena (www.uni-jena/svw/powi/sys/edinger.html).
Rubrizierung: 4.41 | 2.63 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Michael Edinger, Rezension zu: Martin Beck: Friedensprozess im Nahen Osten. Wiesbaden: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/16408-friedensprozess-im-nahen-osten_18839, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 18839 Rezension drucken