
Fremde im gelobten Land. Zur Geschichte der Deutschen in Lodz nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus dem Polnischen von Matthias Barelkowski
Wie viele ostmitteleuropäische Städte war auch das polnische Lodz durch den Zweiten Weltkrieg massiven Bevölkerungsverschiebungen ausgesetzt. Die 1939 etwa 230.000 Mitglieder zählende jüdische Gemeinschaft wurde während der deutschen Besatzung nahezu vollständig vernichtet. Bei Kriegsbeginn lebten zudem ca. 60.000 Deutsche in der Stadt, im Februar 1946 waren es noch rund 24.000 und die folgende Aussiedlungspolitik der polnischen Volksrepublik reduzierte diese Zahl weiter. Der Geschichte der verbliebenen Minderheit ist der von den Lodzer Literaturwissenschaftlerinnen Monika Kucner und Krystyna Radziszewska herausgegebene Sammelband gewidmet, der Forschungsergebnisse der örtlichen Universität für ein deutsches Publikum aufbereitet. Aus der Perspektive verschiedener Disziplinen – Ethnologie, Geografie, Geschichtswissenschaft und Germanistik – wird in sieben Beiträgen ein erster Einstieg in das Thema vermittelt. Die Aufsätze wurden teilweise zuvor bereits in polnischer Sprache veröffentlicht. Mitherausgeberin Radziszewska berichtet über die Internierung von Deutschen im Lager Sikawa, in dem während der vorherigen Besatzungsherrschaft polnische Zwangsarbeiter untergebracht waren. Auch nach dem Krieg diente die Einrichtung als Arbeitslager sowie als Ausgangspunkt für Deportationen in die deutschen Besatzungszonen, wovon mehr als 10.000 Menschen betroffen waren. Auf der Basis von Zeitzeugeninterviews vermittelt Agnieszka Iwaszkiewicz, wie es zunehmend zur gegenseitigen Wahrnehmung von historischen Gewalterfahrungen im deutsch‑polnischen Dialog kommt. Das Stereotyp des „bösen Deutschen“ (128) wird so allmählich hinterfragt. Eine von Joanna Sadowska in der Stadt durchgeführte Umfrage zeigt demgegenüber, dass „die Befragten […] über keinerlei Wissen über das Nachkriegsleben der Deutschen […] verfügen und diese Bevölkerungsgruppe praktisch nicht wahrgenommen haben“ (162). Die gemischtethnische Geschichte von Lodz ist demnach im öffentlichen Leben wenig präsent.