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Claudia Pinl

Freiwillig zu Diensten? Über die Ausbeutung von Ehrenamt und Gratisarbeit

Frankfurt a. M.: Nomen Verlag 2013; 144 S.; pb., 14,90 €; ISBN 978-3-939816-18-8
Öffentlich geförderte Modellprojekte zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements, Studien über Struktur und Potenzial von Freiwilligenarbeit oder Veranstaltungen zur Würdigung der ehrenamtlich Tätigen belegen die große politische Wertschätzung des Ehrenamts. Ohne freiwilliges Engagement „wäre die Gesellschaft nicht nur ein Ort sozialer Kälte – viele uns selbstverständlich erscheinende Einrichtungen und Dienstleistungen gäbe es nicht“ (35), ist sich auch Claudia Pinl sicher. Doch die Publizistin wendet sich mit ihrem Buch gegen die grenzenlose Vereinnahmung des Ehrenamts durch die Politik. Sie beleuchtet die Interessen, die hinter beispielsweise der Arbeit der Enquete‑Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ oder dem propagierten Konzept der Bürgergesellschaft stehen. Dabei werde die Uneindeutigkeit des Engagementbegriffs geschickt genutzt, um bedarfsweise partizipatorische Aspekte zu betonen. „Das Abrücken des Staats und der Kommunen von manchen bisher von ihnen organisierten und finanzierten Dienstleistungen wird so geschickt mit einem basisdemokratischen Anspruch auf Beteiligung vermengt.“ (28) Pinl beschreibt anhand zahlreicher Beispiele und unter Hinweis auf einschlägige Studien und Konferenzen, wie unter dem Stichwort der Koproduktion von Staat/Kommunen und Gesellschaft die Folgen einer Politik des Sozialabbaus sowie der Privatisierung und Kommerzialisierung öffentlicher Dienstleistungen aufgefangen werden sollen. So sei eine regelrechte „Goodwill‑Industrie“ aus Forschungseinrichtungen, Netzwerken, Fundraising‑Agenturen und vielem mehr entstanden, um bürgerschaftliches Engagement als wichtige Ressource für kommunale Aufgaben zu mobilisieren. Die Mechanismen dieser Politik erklärt sie unter anderem am Beispiel der „Allianz für Bildung“ (55), mit der Versäumnisse in der Schulpolitik aufgefangen werden, oder an den Tafeln, das sie als erfolgreiches Geschäftsmodell der Lebensmittelketten ausweist. Die Entsorgung überflüssiger Lebensmittel samt Verpackung und Biomüll erledigen und bezahlen (aus Spendengeldern) die Tafeln, während der Staat die Lebensmittelspenden der Handelsketten steuerlich begünstigt. Die Autorin will das Ehrenamt keineswegs herabwürdigen, nur dürfe es nicht als Lückenbüßer für eine verfehlte Politik, die soziale Ungleichheit als Normalzustand manifestiere, missbraucht werden. „Aktive Bürgerschaft kann heute nur heißen, sich aktiv einzusetzen für eine andere Politik, die den Reichtum in Deutschland umverteilt und die Almosengesellschaft verabschiedet.“ (144)
{AR}
Rubrizierung: 2.352.331 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Claudia Pinl: Freiwillig zu Diensten? Frankfurt a. M.: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38501-freiwillig-zu-diensten_46877, veröffentlicht am 04.06.2015. Buch-Nr.: 46877 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken