Skip to main content
Edmund Ratka

Frankreichs Identität und die politische Integration Europas. Der späte Abschied vom Nationalstaat

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2009 (Münchner Beiträge zur europäischen Einigung 21); 117 S.; 19,- €; ISBN 978-3-8329-4233-5
Über Jahrhunderte hinweg gestalteten sich die Beziehungen zwischen den Franzosen und ihren deutschen Nachbarn als außerordentlich schwierig, denn jede Seite bot der anderen mehr als einmal Anlass, Geschütze gegeneinander aufzufahren. Kompliziert sind die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland noch immer, auch wenn die Aussöhnung der beiden ehemaligen Kombattanten nach 1945 als gelungen und vorbildhaft bezeichnet werden kann. Deutsche und Franzosen sind nicht nur Partner im Rahmen der EU, sondern auch Konkurrenten im Kampf um Märkte, Macht und Einfluss, der unter dem Dach der supranationalen Gemeinschaft unter veränderten Bedingungen stattfindet. Dass Frankreich sich dieser politischen Großwetterlage angepasst hat, verdeutlicht der Autor anhand dreier Beispiele, mittels derer er Wandel und Kontinuität im französischen Selbstverständnis herausarbeitet. Konkret handelt es sich dabei um die Fouchet-Pläne, den Vertrag von Maastricht und den europäischen Verfassungsvertrag. In seinem Vergleich stellt er fest, dass die ursprüngliche Einheit von Staat und Nation einem Verständnis gewichen ist, das die Nation von der Territorialität des Staates entkoppelt. Gleichzeitig liegt der französischen Politik aber noch immer ein Sendungsbewusstsein zugrunde, demzufolge Frankreich ein einzigartiges Land sei, mit Werten, die universelle Geltung besäßen. Da die Integration so den eigenen Interessen und der Verbreitung französischer Werte dient, tritt der als strikt intergouvernemental verstandene Einigungskurs der Vergangenheit hinter die grundsätzliche Akzeptanz von Supranationalität zurück. Wenngleich die theoretische Begründung eines französischen Universalismus stärker hätte ausfallen können, verleiten die Argumente doch zu der Annahme, dass sich zwar die Mittel der Politik geändert haben, nicht aber deren Zweck. Ratka kann längst nicht alle Aspekte der französischen Europalinie analysieren, aber er bietet einen interessanten Blick auf eine häufig als sprunghaft empfundene Politik, die nach der Lektüre seiner Schrift ein Stück weit berechenbarer erscheint.
Michael Vollmer (MV)
M. A., Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, TU Chemnitz.
Rubrizierung: 3.72.614.22 Empfohlene Zitierweise: Michael Vollmer, Rezension zu: Edmund Ratka: Frankreichs Identität und die politische Integration Europas. Baden-Baden: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/21712-frankreichs-identitaet-und-die-politische-integration-europas_37540, veröffentlicht am 28.01.2010. Buch-Nr.: 37540 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken