Frankreich ist schwierig zu fassen, denn es ist vielleicht mehr als andere Länder ein Ort der feinen Unterschiede, wie Pierre Bourdieu in seiner epochemachenden Studie von 1979 die multiplen Friktionen, Sprünge und alltäglichen Kämpfe in der modernen französischen Gesellschaft auf den Punkt brachte. Requate liefert nun mit diesem Band für Politikwissenschaftler und politisch Interessierte wertvolles, einführendes Orientierungswissen über das Frankreich nach der deutschen Besatzung, über den Staat der Vierten und schließlich der Fünften Republik. Dass eine solche Geschichte nur mit Abstrichen auf knapp 230 Seiten zu erzählen ist, versteht sich von selbst. Umso begrüßenswerter ist daher die Auswahl des Autors, der neben einer geschichtlichen Erzählung der Ereignisse auch einzelne Politik‑ und Problemfelder der französischen Gesellschaft thematisiert. Auch der eminent bedeutsamen Problematik der Dekolonialisierung, die bis heute für Frankreich nach innen wie nach außen nicht abgeschlossen und immer noch – man denke etwa an die Banlieue‑Aufstände und die Neukaledonienfrage – geradezu tagespolitisch virulent ist, widmet Requate einige Seiten. Weniger überzeugt die Quellen‑ und die sonstige Materialauswahl, denn die grau unterlegten Quellentexte sind in viel zu geringer Dichte über den Band verteilt. Vielleicht widersprechen sie aber auch dem Charakter des Buches als einer kompakten Einführung und eine Ergänzung mit einem separaten Material‑ und Quellenband wäre besser gewesen. Schlechterdings überflüssig ist – im Zeitalter von Wikipedia – die „Liste der französischen Staatspräsidenten“ (250‑252) am Ende des Bandes, die dem Onlinelexikon in jeder Hinsicht unterlegen ist. Dafür entschädigt aber das kommentierte und entsprechend der Kapitel thematisch sortierte Literaturverzeichnis. Für eine erste, vielleicht auch für eine zweite Orientierung über den immer noch und auch auf lange Zeit wichtigsten Partner Deutschlands in Europa ist der Band in jedem Fall eine sehr gute Wahl.