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Energiewende in Deutschland. Klimaneutralität und sozial-ökologische Marktwirtschaft bis 2045?

01.09.2021
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Dipl.-Jur. Tanja Thomsen, M.A.

Energie ernten? Der Energiemix der Zukunft soll vielfältiger werden. Und vor allem klimaneutral: vielfältig und klimaneutral. Foto: Pexels / PixabayEnergie ernten? Der Versorgungsmix der Zukunft soll vielfältiger werden. Und vor allem klimaneutral. Foto: Pexels / Pixabay

 

BTW-Schwerpunkt: Aus der Krise

Zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima geht es bei der Energiewende in Deutschland nicht mehr nur um eine Entscheidung gegen die Risikotechnologie der Atomkraft und für alternative Versorgungssysteme. Vielmehr ist sie zu einer mehrere Teilsysteme umfassenden Generationenaufgabe an Politik und Wirtschaft geworden: Deutschland, so sieht es das aktuelle Klimaschutzgesetz vor, wird bis 2045 klimaneutral. Und damit noch fünf Jahre vor der Europäischen Union. Mit dem Klimawandel bzw. dem durch ihn verursachten Temperatur- und Meeresspiegelanstieg kann ebenso wenig verhandelt werden wie derzeit mit der Covid-19-Pandemie. Die Energiewende ist somit zwar nicht länger lediglich eine „Stromwende“, aber die Umstrukturierung der Energieversorgung und -wirtschaft beginnt weiterhin in diesem Bereich. Die fossile Versorgung muss durch mehrere Alternativen zugunsten einer de-fossilen Versorgung umgestaltet werden. Neben Fragen der Energieerzeugung treten daher auch die von Transport und Speicherung. Hierin liegt zugleich ein enormes ökonomisches Wertschöpfungspotential für die Volkswirtschaften, denen dieser Systemumbau technologisch gelingt.

Während der US-Präsident Joe Biden das Projekt Klimaschutz als Green New Deal sogar als innovative Chance für die eigene Wirtschaft begreift und das Bundesverfassungsgericht erstmals Grundrechte künftiger Generationen unter Schutz stellt, werden hierzulande in Social Media und Tageszeitungen mehr oder minder seriöse Berechnungen angestellt, was demnächst eine durchschnittliche Fahrt zur Arbeit, der Urlaub, die wärmende Wohnung im Winter oder die Produktion und der Transport von Lebensmitteln durch höhere CO2-Emmissionsbepreisungen kosten werden. Ebenso wird heftig darüber spekuliert, welche Umrüstungen öffentlicher und privater Infrastruktur machbar sind – hier geht es nicht zuletzt darum, wer sie finanzieren kann und soll.

Auch wenn davon auszugehen ist, dass sich der derzeitige Wirbel um Energieberatung, Fachkräftemangel bei der Installation von Wärmepumpen und die Fördermöglichkeiten von Solaranlangen ebenso legen wird, wie politische Schnellschussvorschläge, wonach etwa trotz erheblicher Feinstaubelastung in Etagenwohnungen wieder dezentrale Pallet-Heizungen einzubauen wären, im Sande verlaufen werden: Der durch die Covid-19-Pandemie geschröpfte Bundeshaushalt steht unmittelbar dem nächsten großen Investitionsdruck gegenüber. Fördergelder und Belastungen sind zunächst einmal nachhaltig zu verteilen. Dies ist vor dem Hintergrund einer pluralistischen, sozialen Marktwirtschaft zu bewerkstelligen. Es bedarf daher eines fortdauernden Aushandlungs- und Vermittlungsprozesses, der sicherstellt, dass der eingeschlagene Weg von den Bürgerinnen und Bürgern als gerecht empfunden wird. Die Klimakrise duldet indes keinerlei Aufschub, wie Dürresommer, Hochwasserkatastrophen und beginnende Wasserknappheit zeigen. Zugleich traut nach aktuellen Umfragen etwas weniger als ein Drittel der Bundesbürgerinnen und -bürger keinem der derzeitigen politischen Bewerber zu, die Weichen für diese noch Jahrzehnte andauernden Umgestaltungen von Handel, Wirtschaft, Verkehr, Technologie und Alltag sinnvoll zu stellen – und dies, obwohl erstmals eine grüne Kanzlerkandidatin zur Wahl steht.

Daher beschäftigt sich das vorliegende Digirama mit dem sich hieraus ergebenden Dreiklang aus Energiewende, Klimaneutralität und Demokratie in Deutschland und stellt Beiträge zu verschiedenen Aspekten darüber vor, die sich entweder mit der Fragestellung beschäftigen oder etwas dazu beitragen, wie das politische System diese Mammutaufgabe angehen kann: Was ist seit der Verkündung der Energiewende vor gut zehn Jahren bereits umgesetzt oder angestoßen worden? Welche Akteure auf welchen Ebenen (EU-Bund-Länder-Kommunen) sind überhaupt Entscheider, Vermittler und/oder Umsetzer? Was hat sich bisher als Stolperstein erwiesen und wo liegen innovative Potenziale? Welche Befürchtungen sind in der Bevölkerung vorhanden und würden konkrete soziale Schieflagen durch die Energiewende verstärkt? Wie können die politisch Verantwortlichen diese berücksichtigen? Was bedeutet das Ziel einer ökologisch-sozialen Marktwirtschaft in Aushandlung, Konzeption und Umsetzung für das politische System auf Bundesebene sowie im europäischen Rahmen konkret für die Bürgerinnen und Bürger? Geht die Politikwissenschaft bereits auf diese Fragen ein? Wo steht sie noch am Anfang?

Der politische Diskurs innerhalb der aktuellen Pandemie zeigt, dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz von Institutionen und Werten vom Vertrauen in die Stabilität eines politischen Systems und in die Kontinuität der eigenen Lebensweise stark beeinflussen lässt. Auch fehlt es noch an einer großen, bundesdeutschen Erzählung vergleichbar der des Green New Deal, welche die Gesellschaft lagerübergreifend einstimmen und anleiten könnte. Zielmarke bleibt trotz allem die Ergänzung der bestehenden sozialen Marktwirtschaft um die notwendige ökologische Dimension.

 

Gerald Becker-Neetz
Klimaschutz oder Sozialstaat?
Verfassungsblog, 14. Juli 2021

Die Verteilung der Emissionsrechte berührt unterschiedliche Ebenen, wie Gerald Becker-Neetz (Ministerialdirigent, Bundesministerium für Arbeit und Soziales) in „Klimaschutz oder Sozialstaat?“ erläutert. Das Spannungsfeld zwischen effektivem Klimaschutz und dessen sozialer Ausgestaltung spiegle sich verfassungsrechtlich in der Dichotomie zwischen dem Klimaschutzgebot des Art. 20a GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 GG wider. Künftige Gesetzgeber müssten beide Dimensionen beachten und daher auf eine sozialstaatliche Verteilung von Emissionsrechten hinwirken.

 

Nick Reimer, Toralf Staud
Abgesoffen und ausgedörrt
Die Blätter, Juli 2021

Mehr Trockenheit bei gleichzeitigen Anstieg der Niederschlagsmengen nehmen werden mehr und mehr zur Regelsommerwetterlage. Das dahinterstehende Phänomen, „Tief Mitteleuropa“ als ein sehr stationäres Tiefdruckgebiet, drohe Meteorologen zufolge hierzulande durchschnittlich an etwa neun bis 15 Tagen im Jahr. Nick Reimer und Toralf Staud erklären, wie in der Folge Wasser selbst in Deutschland eines knappes Gut zu werden droht.

 

Albrecht von Lucke
Alle gegen Annalena: Die Angst der Grünen – und vor den Grünen
Die Blätter, Juli 2021

Dieser Bundestagswahlkampf, der über die deutsche Politik in den in ökologischer Hinsicht so existenziellen 2020er-Jahren entscheidet, mute mehr und mehr tragisch-skandalös an, stellt Albrecht von Lucke eingangs in „Alle gegen Annalena: Die Angst der Grünen – und vor den Grünen“ fest: Einerseits erlebe Baerbock aufgrund einer schlecht kommunizierten prognostizierten Benzinpreiserhöhung und des schwachen Abschneidens bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt einen Absturz in den Umfragewerten. Aber auch Kontrahenten der Grünen aus Wirtschaftsverbänden bezögen unter anderem in den Medien brachial gegen die grüne Spitzenkandidatin Stellung: So evoziere man das Bild einer sozialistisch geprägten Verbotspartei, mit sprachlichen Bezügen aus dem Fundus des kulturellen Antisemitismus. Geschürt werde die Angst vor einem künftigen (Deutsch-)Land, in dem der Staat eine immer größere Rolle beanspruche und Regelungen und Verbote die Freiheit immer weiter einschränkten. Hinter dieser gezielten Polarisierung sieht von Lucke die eigentliche Kardinalfrage gegenwärtiger Politik: Wer schützt wie die Freiheit? Und was genau ist heute unter Freiheit zu verstehen?

 

Lena Donat
Grüne Bahn-Renaissance: Im Nachtzug nach Europa?
Die Blätter, Juli 2021

Das Denken der Europäer*innen sei dabei, sich radikal zu wandeln, getrieben von einem neuen Klimabewusstsein und den einschneidenden Erfahrungen der Corona-Pandemie. Die Dringlichkeit einer Verkehrswende wird immer deutlicher. Die Europäische Union plant bis spätestens 2050 klimaneutral zu werden: Reduzierung des Verkehrs bzw. seine Verlagerung auf die Schiene sollen eine klima- und ressourcenschonende Zukunft ermöglichen. Der Zeitpunkt ist günstig, da großangelegte Investitionen mit den Post-Corona-Konjunkturprogrammen Möglichkeiten eröffnen. Lena Donat legt daher in „Grüne Bahn-Renaissance: Im Nachtzug nach Europa?“ aus ihrer Sicht dar, inwiefern 2021 das perfekte Jahr ist, um eine europäische Verkehrswende einzuleiten und die Bahn wieder zum Rückgrat nachhaltiger Mobilität zu machen.

 

André Algermißen
Nachhaltige Waldbewirtschaftung
Konrad-Adenauer-Stiftung, Juli 2021

Wälder, so leitet André Algermißen seine Überlegungen in „Nachhaltige Waldbewirtschaftung“ ein, stellen hierzulande mit rund einem Drittel der Gesamtfläche vielfältige Ökosystemleistungen zur Verfügung. Sie verbessern die Luft- und Wasserqualität und fungieren als Kohlenstoffspeicher. Stilllegungen von Waldflächen sind daher für den Klima- und Biodiversitätsschutz wenig zielführend. Um diese vielfältigen Ökosystemleistungen zu bewahren und um in die Anstrengungen für den Klima- und Umweltschutz zu intensivieren, bieten sich unterschiedliche Honorierungsmodelle für die Waldbesitzer*innen an. Der Autor unterstreicht daher, dass sich Nachhaltigkeit und Waldbewirtschaftung nicht ausschließen.

 

Yana Zabanova, Kirsten Westphal
Russland im globalen Wasserstoff-Wettlauf
Stiftung Wissenschaft und Politik, 29. Juni 2021

Yana Zabanova und Kirsten Westphal stellen in „Russland im globalen Wasserstoff-Wettlauf“ ihre strategischen Gedanken zur deutsch-russischen Wasserstoffkooperation vor: Die Russische Föderation wolle auch zu einem führenden Exporteur von Wasserstoff werden. Dabei betrachte man die Bundesrepublik als einen wichtigen Partner. Obwohl sich die politischen Beziehungen zum Westen stetig verschlechtern, bleibe die Kooperation bei erneuerbaren Energien und so auch beim Wasserstoff einer der wenigen vielversprechenden gemeinsamen Projekte. Eine Zusammenarbeit, so die Autoren, könnte signifikant zur Entwicklung der H2-Wertschöpfungsketten in beiden Ländern beitragen.

 

Susanne Dröge
Ein CO2-Grenzausgleich für den Green Deal der EU: Funktionen, Fakten und Fallstricke
Stiftung Wissenschaft und Politik, 5. Juni 2021

Die Europäische Union orientiert sich an den im Pariser Klimaabkommen beschlossenen globalen Temperaturzielen, was in ihren neuen Klimazielen für 2030 und 2050 seinen Ausdruck findet. Susanne Dröge beleuchtet daher in „Ein CO2-Grenzausgleich für den Green Deal der EU“ Fakten und Fallstricke im Emissionshandel: Der CO2-Preis für Emissionsberechtigungen wird steigen. Hierdurch bestehe im internationalen Wettbewerb das Risiko, dass Produktionen und damit die CO2-Emissionen in Nicht-EU-Länder verlagert würden. Die Kommission bringt daher einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) ins Spiel, welcher Importe in die Union mit einer Abgabe belastet, die ihrem CO2-Gehalt entspricht. International trifft dieser Plan auf den Vorwurf des Protektionismus, die CBAM-Einführung ist für 2023 geplant.

 

Johannes Pennekamp
Die Schattenseite der Klima-Urteile
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juni 2021

Die Bundesrepublik und der Ölkonzern Shell wurden gerichtlich zu weniger CO2-Ausstoß verurteilt. Für seinen Beitrag „Die Schattenseite der Klima-Urteile“ hat Johannes Pennekamp daher mit Ökonominnen und Ökonomen gesprochen. So bemängelt beispielsweise Wilfried Rickels, Forschungszentrum „Global Commons und Klimapolitik" am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW), dass ein Richter nicht wissen könne, welches Unternehmen bis wann wie viel reduzieren müsse. Kostengünstiger Klimaschutz funktioniere nicht, indem Juristen den Preismechanismus ignorierten oder ihm misstrauten. Auch die Leiterin des Münchener ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen Karen Pittel kommt mit ihren kritischen Anmerkungen zu den Urteilen zu Wort.

 

Birgit Mahnkopf
Nebelkerze Green New Deal
Die Blätter, Juli 2021

Birgit Mahnkopf bewertet in „Nebelkerze Green New Deal“ die Versprechungen eines „grünen Kapitalismus“ in der Gesamtschau kritisch. „Klimaneutralität“ zukünftiger Industriegesellschaften gehe oft mit Versprechen einer abrupten Reduktion von CO2-Emmisionen einher. Mit solchen Versprechen werden nun Wahlen bestritten, doch wer im Herbst im Rahmen der Bundesregierung koaliere, müsse für das Versprechen geradestehen, Deutschland in nur 24 Jahren „treibhausgasneutral“ zu machen. Bisher fragten wenige Wähler*innen, was „Klimaneutralität“ bedeute, dass von 2045 an die von Menschen erzeugten Emissionen nicht höher ausfallen, als sie sich wieder binden lassen. Die große Frage dahinter bleibt: Wie kann diese Bindung funktionieren und sich mit dem Wachstum von Wirtschaft, Infrastruktur und Arbeitsplätzen in Einklang bringen lassen.

 

Interview mit Patrick Graichen
Wind- und Solarstrom wird die Primärenergie des 21. Jahrhunderts
Heinrich-Böll-Stiftung, 26. Mai 2021

Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende, fasst in kurzen Antworten zusammen, inwiefern Ökostrom, erzeugt durch Sonne und Wind, aus seiner Sicht grundlegend bedeutsam für eine zukunftsfeste, klimaneutrale Industrie ist. Hierbei legt er dar, wie das Energieversorgungssystem dafür angepasst werden kann und welche Potenziale darin für die Industrie enthalten sind.

 

Silke Tober
Grünere Geldpolitik als Flankierung des Green Deal
Hans-Böckler-Stiftung, Mai 2021

Silke Tober analysiert in „Grünere Geldpolitik als Flankierung des Green Deal“, wie die EZB den ökologischen Umbau der Wirtschaft unterstützen könne. Nötig seien hierbei neue Vorgaben für Wertpapierkäufe sowie für die Vergabe von Krediten. Den Fokus auf Klimaschutz zu legen, hält die Expertin für Geldpolitik für mit dem Mandat der Zentralbank vereinbar. Diese habe die Aufgabe, die Preisstabilität im Euroraum zu wahren. Doch wo dieses Ziel nicht beeinträchtigt werde, solle sie aber auch die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterstützen. Hierzu zählen gemäß Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) auch die nachhaltige Entwicklung Europas sowie ein hohes Maß an Umweltschutz.

 

phoenix persönlich
Bürgermeister Dirk Neubauer zu Gast bei Michael Krons
Phoenix, 14. Mai 2021

Dirk Neubauer sorgt sich als Bürgermeister einer sächsischen Kleinstadt um die Demokratie hierzulande: Das Vertrauen hierin schwinde, wie die Covid-19-Krise gezeigt habe. In der Sendung „phoenix persönlich“ spricht er mit Michael Krons daher über eine zunehmende Entfremdung zwischen Bürgerinnen und Bürgern einerseits und der Politik anderseits. Die Demokratie sieht er daher in Anbetracht bedeutender kommender Herausforderungen wie dem Klimawandel gefordert.

 

Jan Cernicky
Internationaler Handel im Kontext der Nachhaltigkeit
Konrad-Adenauer-Stiftung, 12. Mai 2021

Jan Cernicky erklärt in „Internationaler Handel im Kontext der Nachhaltigkeit“ die Bedeutung des gegenwärtigen Regelregimes im Internationalen Handel, da auch dieser in Optimierungsbemühungen kaum noch von Fragen der Nachhaltigkeit getrennt betrachtet werden könne. Wo Auswirkungen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene analysiert werden, erscheine Internationaler Handel mit dem Fokus auf der sozialen und ökologischen Dimension vorteilhaft, mit Blick auf die ökologische Dimension bestehe allerdings noch Handlungsbedarf.

 

Wolfgang Merkel im Gespräch mit Nikolaos Gavalakis
Der Blick in die Zukunft enthält immer eine Restspekulation
IPG-Journal, 11. Mai 2021

Im Interview mit Nikolaos Gavalakis betrachtet der Demokratieforscher Wolfgang Merkel die vom Karlsruher Klimaschutz-Urteil geprägte intertemporale Freiheitssicherung im Verhältnis zur repräsentativen Demokratie. Dabei entwirft er einen neuen Typus von Krisen des 21. Jahrhunderts: Geprägt von Verwissenschaftlichung, Moralisierung und Polarisierung, nagten diese als Wendepunkte gemeinschaftlichen Handelns an der Substanz politischer Gemeinschaften. Denn wo Gemeinschaften zunehmend „moralinsauer“ in Gesellschaften selbstgerechter und missgünstiger Individuen zerfielen, sieht er die Gefahr, dass dabei die Fähigkeit verlorengeht, kollektiv, effektiv und demokratisch der Klimakrise zuwider zu handeln.

 

Christine Pütz und Claudia Rothe
Gemeinschaftsaufgabe European Green Deal
Heinrich-Böll-Stiftung, 7. Mai 2021

Christine Pütz und Claudia Rothe konstatieren in „Gemeinschaftsaufgabe European Green Deal“, dass ein European Green Deal nur gelingen könne, wenn die Union als europäisches Mehrebenensystem funktioniert. Sie müsse daher dafür Sorge tragen, dass sukzessiv alle Ausgaben aus den EU-Fonds an Nachhaltigkeitskriterien geknüpft werden. Wiederaufbaufonds setzten mit Quoten für Investitionen in Klima und digitale Infrastruktur erste Akzente diesbezüglich. Die Autoren diskutieren hier die Notwendigkeit, dieses Erfordernis auf alle Investitionen auszudehnen.

 

Audrey Mathieu
Erfolgsgeschichte European Green Deal? Nationalstaaten sind jetzt am Zug
Heinrich-Böll-Stiftung, 7. Mai 2021

Audrey Mathieu analysiert, wie EU-Mitgliedstaaten und Bundesregierung bei der Umsetzung des European Green Deals beherzter vorgehen müssten, um das erklärte Klimaneutralitätsziel zu erreichen. Als Impulsgeber sieht er hierbei die Bürger*innen sowie die EU-Ebene am Zug, denn wenn notwendige Anstrengungen für wirksamen Klimaschutz mitsamt Entscheidungen allein in Brüssel vorgenommen würden, gelänge die Aneignung des Green Deal durch Nationalstaaten, wie auch Regionen und Gemeinden, nur schwer. Letztere sei allerdings entscheidend, um fehlende Identifikation mit den Maßnahmen und EU-Verdrossenheit zu vermeiden, so die Mahnung der Autoren.

 

Gabriel Felbermayr
Das Programm der Grünen – hehre Ziele, inkonsistente Umsetzung
WirtschaftsWoche, 4. Mai 2021

Aus wirtschaftspolitischer Sicht wollten die Grünen ihre Ziele vor allem mit einem größeren Staat erreichen, meint der Kommentator Gabriel Feldbermayr. Dass sie in ihrem Kernthema Klimaschutz der internationalen Dimension wenig Beachtung schenken, erachtet er in „Das Programm der Grünen – hehre Ziele, inkonsistente Umsetzung“ als eine fahrlässige Fehlkonzeption im grünen Wahlprogramm. Dabei kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler problematisches Mikromanagement dort, wo grüne Wahlkämpfer auf folgende Instrumente setzten: staatliche Vorgaben für Grenzwerte, Reduktionsziele und Produktionsstandards. Handeln von dieser Warte aus verteuere die Klimapolitik unnötig und man laufe Gefahr, die internationale Anschlussfähigkeit zu senken.

 

Maximilian Steinbeis
Ok, Boomer
Verfassungsblog, 30. April 2021

Maximilian Steinbeis fragt provokativ, ob sich das politische System des Grundgesetzes, vormals als Kanzlerdemokratie beschrieben, nunmehr zur Karlsruhedemokratie gewandelt habe. „Das mag sich mancher fragen nach dem von vielen zu Recht als epochal bezeichneten Beschluss des Ersten Senats zum Klimaschutzgesetz“, meint der Autor. Er überlegt daher, ob dies einen Übergriff auf den Raum der Politik darstellt, zu dem sich das Gericht angesichts der Klimaproblematik als Ersatzgesetzgeber angemaßt hat.

 

Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein GmbH Wissenschaftspark
Intelligente und effiziente Vernetzung von Energieerzeugern und -verbrauchern auf Quartiersebene
Gesellschaft für Energie und Klimaschutz Schleswig-Holstein GmbH Wissenschaftspark, März 2021

Diese Vorstudie fokussiert die rechtlichen Rahmenbedingungen für den (direkten) Austausch von erneuerbarer Energie zwischen privaten bzw. kleinen, dezentralen Energieerzeugern und Energieverbrauchern, den sog. Peer-to-Peer-Lieferungen. Damit soll ermittelt werden, ob der gegenwärtige Rechtsrahmen P2P-Lieferungen ermöglicht und unterstützt. Hinzu kommt die Erhebung, ob ein Bedarf an weitergehender, anwendungsorientierter Forschung im Themenfeld besteht und welche Liefer- und Geschäftsmodelle für Peer-to-Peer-Lieferungen in Quartieren in energiewirtschaftlicher und energietechnischer Hinsicht aktuell diskutiert, erforscht und (in Pilotprojekten) bereits umgesetzt werden. Eine systematische Übersicht der erfassten Projekte liefert der Anhang dieser Studie.

 

Metin Hakverdi
Die neue transatlantische Allianz
IPG-Journal, 01. März 2021

Metin Hakverdi analysiert vorliegend die Entscheidung Bidens, den Klimaschutz zum zentralen Element der US-Außen- und Sicherheitspolitik zu machen. Nachdem die USA bereits dem Pariser Klimaschutzabkommen erneut beigetreten sind, arbeitet Hakverdi heraus, wie eine gemeinsame Steuer auf CO2 in Europa und den USA die transatlantische Wirtschaft erneut zu einer Vorreiterrolle verhelfen könne. Was einst die NATO als gemeinsames Projekt und Bindeglied der Partnerschaft gewesen sei, könne nun der Klimaschutz werden.

 

Nico Schmidt
Die Zombie-Klausel
IPG-Journal, 14. März 2021

Wenn private Schiedsgerichte multinationalen Energiekonzernen milliardenschwere Entschädigungen für entgangene Profite zusprechen können, droht für Nico Schmidt in „Die Zombie-Klausel“ Klimaschutz möglicherweise zur Farce zu werden. Bisher seien es lediglich wenige Konzerne, die gegen Klimamaßnahmen von EU-Mitgliedstaaten klagten, doch könnte dies der Beginn einer massiven Klagewelle darstellen. Ermöglicht wurde dies durch ein bislang wenig bekanntes Investitionsschutzabkommen, den Energiecharta-Vertrag, den, unterschrieben Anfang der 1990er-Jahre, alle EU-Staaten ratifiziert hätten. Nach Berechnungen von Investigate Europe schütze die Charta fossile Infrastruktur innerhalb der Union, Großbritannien und der Schweiz im Wert von rund 350 Milliarden Euro. Nico Schmidt befürchtet, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten in der Folge dieser Rechtslage sogar Klimaziele verfehlen könnten.

 

Joachim Pfeiffer, Frank Umbach
Nach dem Brexit
Zeitschrift für Politik, Gesellschaft und Religion, 26. Februar 2021

Joachim Pfeiffer und Frank Umbach verweisen in „Nach dem Brexit“ darauf, dass Deutschland und die EU mit dem Brexit nicht nur einen gewichtigen Partner in der Energiepolitik, sondern auch einen kenntnisreichen Mittler bei der politischen Konsenssuche bei divergierenden Interessen unter den EU-Mitgliedstaaten eingebüßt haben. Dies betreffe insbesondere energiepolitische Kooperationen mit den Visegrád-Staaten. Hinzu kämen widersprechende Interessen in der Wirtschafts- und Energiepolitik des deutsch-französischen Motors der Integration, wo es darum gehe konträr zur Bundesrepublik den Stabilitäts- und Wachstumspakt zugunsten größerer Schuldenpolitik aufzuweichen. Aus all dem gelte es nun, strategische Schlussfolgerungen für neue Interessenallianzen für Deutschlands EU- und Energiepolitik zu ziehen.

 

Stefanie Groll
Was von CO2-Preisen zu erwarten ist – und was nicht
Heinrich-Böll-Stiftung, 3. Februar 2021

Stefanie Groll kommentiert, dass kein Klimaschutz-Instrument die öffentliche Debatte so sehr präge, wie das der CO2-Bepreisung. Dieser CO2-Preisaufschlag auf Kraft- und Heizstoffe stelle das Aushängeschild des Klimaschutzpakets der Bundesregierung aus dem Herbst 2019 dar. Hiermit soll gelingen, den Treibhausgasausstoß bis 2030 um 55 Prozent reduzieren (im Vergleich zu 1990). Solange die Folgekosten nicht in Rechnung gestellt werden, finde Klimaschutz bei Investitionsentscheidungen nicht ausreichend Berücksichtigung.

 

Brigitte Knopf
Fünf Jahre Pariser Klimaabkommen
Heinrich-Böll-Stiftung, 2. Dezember 2020

Brigitte Knopf gibt in „Fünf Jahre Pariser Klimaabkommen“ eine kurze Bestandsaufnahme und einen Ausblick für Deutschland. Das Klimaschutzpaket von 2019 sollte die Weichen dafür stellen, dass Deutschland seinen Anteil daran leiste, die Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf nicht mehr als 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Nun erklärt Knopf, wo die Bundesregierung nun tatsächlich steht: Was ist die Bilanz bei Emissionsminderungen? Muss eine neue Bundesregierung nachlegen? Welchen Effekt hat der europäische Green Deal auf diese Klimaschutzpolitik? In dem Gespräch geht es aber auch darum, wie sich die EU im Klimaschutz als global strategischer Akteur zwischen den USA und China ihren Platz findet.

 

Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Niedersachsen
Eine klimafreundliche und nachhaltige Wirtschaft durch Wasserstoff?
Friedrich-Ebert-Stiftung Landesbüro Niedersachsen, 26. November 2020

Das FES-Landesbüro Niedersachsen bespricht in der aufgezeichneten Online-Veranstaltung „Eine klimafreundliche und nachhaltige Wirtschaft durch Wasserstoff?“ energie- und außenpolitische Implikationen und Wertschöpfungsketten anhand der neuen nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesrepublik. Diskutiert wird über Möglichkeiten und Grenzen für das nachhaltige Gelingen von Wasserstoffstrategien auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene. Expert*Innen bieten hierzu Impulse, Diskussionen und bilden von Teilnehmern eingereichte Fragen ab.

 

Felix Matthes
CO2-Preis jenseits der Leerformel
Heinrich-Böll-Stiftung, 8. Mai 2019

Felix Matthes, Forschungskoordinator Energie- und Klimapolitik des Öko-Instituts, leitet in „CO2-Preis jenseits der Leerformel“ fünf zentrale Fragestellungen aus der aktuellen Debatte um die CO2-Bepreisung ab, über die seines Erachtens Verständigung erzielt werden muss. Hierzu analysiert er Probleme verschiedener Ansätze, wie sie sich beispielsweise bei der Ausweitung des Emissionshandels auf den Verkehrssektor ergeben werden.

 

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