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Stephan Fuchs

"Dreiecksverhältnisse sind immer kompliziert" Kissinger, Bahr und die Ostpolitik

Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1999 (eva wissenschaft); 320 S.; brosch., 42,- DM; ISBN 3-434-52007-4
Diss. Amerik. Kulturgeschichte München; Gutachter: G. Raeithel. - Über die deutsche Ostpolitik der 60er und 70er Jahre sind zahllose Arbeiten verfaßt worden. Die letzte Welle diesbezüglicher Publikationen beschäftigte sich nach der deutschen Vereinigung mit der Frage, ob und in welchem Maße die Ostpolitik die Einheit ermöglicht hat. Trotz dieser umfangreichen Literatur gelingt es dem Autor, einen neuen Aspekt zu beleuchten, nämlich die Bedeutung der Beziehung von zwei der wichtigsten Protagonisten, nämlich Egon Bahr und Henry Kissinger, für die Formulierung und Ausgestaltung der Ostpolitik zu untersuchen. Sie ist deshalb wichtig, weil hinter dem Verhältnis der beiden Politiker das grundsätzliche Verhältnis von Ost- und Westpolitik der Bundesrepublik in jener Epoche stand. Fuchs gelingt es, mit den tradierten Erklärungen aufzuräumen, nach denen Kissinger der Bundesregierung und Bahr im besonderen die Ostverträge nicht zugetraut habe und der amerikanische Sicherheitsberater und spätere Außenminister Willy Brandt und Bahr herzliche Antipathien entgegengebracht habe. Das Gegenteil ist zutreffend: "Tatsächlich waren Kissinger und Bahr in erster Linie fasziniert voneinander; [...] bald nach der Einleitung der Ostpolitik [...] entstand eine gut geheimgehaltene Freundschaft zwischen den beiden Sicherheitsberatern." (7) Diese ermöglichte Bahr, auch auf die Ausgestaltung der amerikanischen Politik Einfluß nehmen zu können, mehr noch: "Die amerikanische Diplomatie in den Viermächte-Verhandlungen um Berlin wurde von Kissinger - personell wie inhaltlich - nach Bahrs Wünschen manipuliert, nicht umgekehrt die Ostpolitik nach den Vorstellungen Kissingers." (7 f.) Im Gegenzug konnte Bahr den USA Impulse für die globale Détentepolitik anbieten. Fuchs erweitert mit seiner Arbeit die klassischen Methoden der Geschichtsschreibung und Politikwissenschaft um eine kulturwissenschaftliche Komponente, d. h. er zieht z. B. Theorien zur Betrachtung von Persönlichkeiten in der Politik und Ansätze aus der Sozialpsychologie sowie Sozialbiographie heran. Ergänzt wird dies durch seine gelungene Auseinandersetzung mit der vorliegenden Literatur, sein akribisches Quellenstudium und seine Verwendung von Interviews mit relevanten Akteuren. Hier setzt allerdings der einzige Kritikpunkt an: Fuchs macht sich die Perspektive von Bahr, mit dem er zwei Gespräche geführt hat, in starkem Maße und manchmal unkritisch zu eigen. Indizien, die auf ein gespannteres Verhältnis deuten, werden übergangen und Bahrs Rolle in den Mittelpunkt des Buches gestellt. Hier wünscht sich der Leser, daß der Autor als Korrektiv auch Kissinger persönlich zu dieser Epoche der deutsch-amerikanischen Beziehungen befragt hätte. Inhalt: Die Welt von 1969: Détente und Confrontation: Kalter Krieg und die Erfindung des Bipols; Core and Fringe: Die Republik von Bonn und ihre Supermacht; "Neue" deutsche Ostpolitik; USA und Ostpolitik; Deutschland - Amerika: Unterschiede in der politischen Kultur. Persönlichkeiten in der internationalen Politik: USA: Ikonen im System; Bundesrepublik: "Pernicious People" statt "Familiar Flocks"; "The Immigrant's Progress": Kissinger; Der geheime Diener: Egon Bahr; Ostblock: Brechender Monolith zwischen Ulbricht und Andropow; Freund und Feind: Versuch einer Zuordnung. Personale Steuerung im internationalen System: Das Beispiel Ostpolitik: Management der außenpolitischen Bürokratien; "Backchannels": Internationale Beziehungen im Hinterzimmer; Geheimdiplomatie und Öffentlichkeit: Kunst und deren Grenzen; Die kulturelle Qualifikation der Hauptakteure. Metternichs und Epigonen: ein Nachwort.
Markus Kaim (MK)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Forschungsgruppe "Sicherheitspolitik", Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin.
Rubrizierung: 4.2 | 4.21 | 4.22 | 2.64 Empfohlene Zitierweise: Markus Kaim, Rezension zu: Stephan Fuchs: "Dreiecksverhältnisse sind immer kompliziert" Hamburg: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/8054-dreiecksverhaeltnisse-sind-immer-kompliziert_10652, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 10652 Rezension drucken