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Iris Dzudzek / Caren Kunze / Joscha Wullweber (Hrsg.)

Diskurs und Hegemonie. Gesellschaftskritische Perspektiven

Bielefeld: transcript Verlag 2012 (Sozialtheorie); 260 S.; kart., 29,80 €; ISBN 978-3-8376-1928-7
Deutschsprachige Sozialwissenschaftler rezipierten die Hegemonietheorie Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes über lange Zeit mehrheitlich zögerlich. Das mag insofern überraschen, als dass die beiden Theoretiker nicht nur mit dem ökonomistischen Essentialismus des orthodoxen (Kultur-)Marxismus brechen, sondern aus dessen Dekonstruktion und im Rückgriff auf die Diskurstheorie Foucaults und den Poststrukturalismus Derridas auch eine Gesellschaftstheorie entwickeln. Diese begreift das Soziale als politisch-diskursiv instituierte Struktur und stellt die Paradigmen der vorherrschenden rationalitätszentrierten Sozial- und Politiktheorie infrage. Doch 25 Jahre nach dem Erscheinen ihres gemeinsam verfassten Hauptwerkes „Hegemony and Socialist Strategy“ und 20 Jahre nach der ersten deutschen Übersetzung wird ihre Konzeption von Gesellschaft, Emanzipation und Demokratie als integraler Ansatz einer herrschaftskritischen Perspektive auch hierzulande verstärkt diskutiert – so auch in den Beiträgen dieses Bandes, denen diese Hegemonietheorie als „zentraler, jedoch nicht ausschließlicher Referenzrahmen“ (15) dient. Mithilfe der Laclau/Mouffe‘schen Verschränkung des Diskursbegriffes mit dem Konzept der Hegemonie legen die Autoren die Konfliktualität offen, die der fortlaufenden Aktualisierung und Modifikation multipler und sich überlagernder gesellschaftlicher (Herrschafts- und Unterordnungs-)Verhältnisse immanent ist. Während die Beiträge Friederike Habermanns, Gundula Ludwigs und Kathrin Ganz‘ theoretische Verbindungen zwischen Hegemonie- und Subjektivierungstheorie in den von Stuart Hall geprägten Postcolonial Studies respektive in der Gender-Theorie Judith Butlers nachzeichnen und präzisieren, betreten die Kulturgeografen Georg Glasze und Shadia Husseini de Araújo neues Terrain. Sie übertragen die Hegemonietheorie von Laclau und Mouffe auf raumtheoretische Fragestellungen. Glasze skizziert die Grundzüge einer hegemonietheoretisch informierten Raumtheorie, diskutiert Übersetzungsprobleme von politischer Theorie und Raumwissenschaft und wirbt schließlich für eine „dezidiert politische Konzeption von Räumen in den Sozial- und Kulturwissenschaften“ (167). Welche Fragestellungen sich mit dieser Forschungsperspektive aufwerfen und bearbeiten lassen, zeigt etwa Husseini de Araújo, indem sie Edward Saids Konzept der imaginativen Geografie mit dem hegemonietheoretischen Begriffsinstrumentarium verknüpft, um die Berichterstattung in arabischen Massenmedien über Europa zu untersuchen. Es ist insbesondere dieser raumbezogene Schwerpunkt, der den Sammelband von der Sekundärliteratur über die politische Theorie von Laclau und Mouffe abhebt und seine Innovativität begründet.
Marius Hildebrand (HIL)
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 | 2.325 Empfohlene Zitierweise: Marius Hildebrand, Rezension zu: Iris Dzudzek / Caren Kunze / Joscha Wullweber (Hrsg.): Diskurs und Hegemonie. Bielefeld: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35362-diskurs-und-hegemonie_42604, veröffentlicht am 20.12.2012. Buch-Nr.: 42604 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken