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Norbert Bolz

Diskurs über die Ungleichheit. Ein Anti-Rousseau

München: Wilhelm Fink Verlag 2009; 207 S.; 16,90 €; ISBN 978-3-7705-4797-5
In diesem Essay lässt der renommierte Medienwissenschaftler eloquent seinem gesammelten Frust gegen die politische Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, die er als Gleichmacherei denunziert, freien Lauf. Da für Bolz soziale Gerechtigkeit nur eine Chiffre von Ressentiment und Neid der Zukurzgekommenen ist, kann jede sozialstaatliche Umverteilung nur eine Beschränkung der wahren Leistungsträger bedeuten. In der Minimierung wohlfahrtsstaatlicher Leistungen sieht er die dringendste politische Aufgabe. Um diese Auffassung zu belegen, glaubt der Autor, Rousseau attackieren zu müssen und sich auf Tocqueville berufen zu können, um nicht allzu offensichtlich an diverse Elitentheoretiker der Jahrhundertwende anzuschließen. Zur Begründung seiner These führt Bolz aus, dass „man keine Theorie der Gesellschaft, sondern nur gesunden Menschenverstand“ (11) brauche. So überrascht es denn auch nicht, dass Rousseau, anders als der Autor behauptet, keineswegs die allgemeine ökonomische Gleichheit postuliert. Ebenso geflissentlich wird die Einschätzung Tocquevilles unterschlagen, dass Freiheit stets die Frucht der Gleichheit sei und genau darin das Gerechte der Demokratie begründet liege. Da solche Fehlinterpretationen nicht die einzigen sind, kann man nur annehmen, dass der Autor weniger an der sachlichen Erörterung von Ambivalenzen des Gerechtigkeitsbegriffs interessiert ist, sondern sich in der Pose der Polemik gefällt, die mit einem Auge auf das Feuilleton und dem anderen auf den akademischen Diskurs blickt. Man mag dies als streitbaren Essay bezeichnen, tatsächlich ist es aber nur der ärgerliche Versuch, den Abbau von Sozialleistungen mit sich liberal gebenden Argumenten zu legitimieren und zu forcieren, ohne die Implikationen der eigenen Darlegung selbst zu thematisieren. Der nicht offen zu Ende ausgeführte Affront gegen Gerechtigkeit, Toleranz, Feminismus, Ökologie und letztlich auch Demokratie wird wohl kalkuliert gegen die imaginierte Political Correctness gerichtet, und der inszenierte Tabubruch erfüllt damit den Zweck des Buches: die Steigerung des eigenen Nimbus.
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Norbert Bolz: Diskurs über die Ungleichheit. München: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30407-diskurs-ueber-die-ungleichheit_36097, veröffentlicht am 28.05.2009. Buch-Nr.: 36097 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken