Diktaturerinnerung und Geschichtskultur im östlichen und südlichen Europa. Ein Vergleich der Vergleiche
Dem „geteilten Gedächtnis“ Europas widmeten sich in jüngerer Vergangenheit zahlreiche kulturwissenschaftliche Untersuchungen (siehe etwa Buch-Nr. 41003). Stefan Troebst, als stellvertretender Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) Leipzig einer der bestausgewiesenen deutschen Ost-/Südosteuropa-Experten, erweitert diese Perspektive in seinem Essay u. a. um eine Vorstellung politologischer Deutungsmuster. Auch er konstatiert einen Bruch im europäischen Gedächtnis, allerdings jenseits des üblichen Ost-West-Schemas. Troebst stellt die „von traumatischen Kollektiverfahrungen geprägte[n] Generationen“ (9) Süd- und Osteuropas der Bevölkerung der west- und nordeuropäischen Staaten gegenüber. Letztere verfüge kaum noch über eine Erinnerung an die weiter zurückliegenden diktatorischen Regime in ihren Ländern. So gerät ein Diktaturvergleich in den Blick, der in den Geistes- und Sozialwissenschaften sonst eher selten unternommen wird: der Vergleich nämlich zwischen Diktaturerinnerung in den Mittelmeer-Staaten Spanien, Portugal und Griechenland und den ehemaligen staatssozialistischen Regimen. Diesem Themenfeld war bereits ein langjähriges Projekt des GZWO gewidmet (siehe Buch-Nr. 38795), das hier um einige theoretische Überlegungen ergänzt wird. So ordnet Troebst die (wenigen) früheren und zeitgenössischen Ansätze auf diesem Feld in den aktuellen Forschungsdiskurs ein. Dazu zählen der„implizite[.] Ost-Süd-Diktaturvergleich“ (20) Hannah Arendts, die Transitionsmodelle der Politologen Juan J. Linz und Alfred Stepan sowie die Arbeiten von Wolfgang Merkel, außerdem einige kleinere Untersuchungen etwa des Historikers Carsten Goehrke sowie der Politologen Joakim Ekman und Jonas Linde. Dabei wird deutlich, dass das „demokratische Design“ aller untersuchten Staaten „ganz maßgeblich von der Erfahrung der Diktatur und ihrer Überwindung geprägt“ (45) ist. Die Formen, Muster und Strategien der Diktaturerinnerung und -bewältigung unterscheiden sich jedoch bisweilen stark, „mit erkennbaren Folgen für die politischen und historischen Kulturen dieser Gesellschaften“ (49).