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Julia Gerlach

Die Vereinsverbotspraxis der streitbaren Demokratie. Verbieten oder Nicht-Verbieten?

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2012 (Extremismus und Demokratie 22); 570 S.; 89,- €; ISBN 978-3-8329-7456-5
Diss. phil. TU Chemnitz; Begutachtung: E. Jesse. – Vereine, die sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, können in der Bundesrepublik Deutschland verboten werden. Das Vereinsverbot stellt ein zentrales und nicht selten angewandtes Instrument der „streitbaren Demokratie“ dar. Eingangs betont die Verfasserin, dass es geboten sei, das Instrument des Vereinsverbotes sehr abgewogen einzusetzen, da auch „überzogener Selbstschutz“ (19) die Demokratie gefährde. Folglich setzt sich Gerlach in ihren ersten Kapiteln mit den theoretischen und juristischen Grundlagen und Kontexten der „streitbaren Demokratie“ auseinander. Ein Überblick über die Verbotspraxis seit 1949 schließt sich an. In der ersten Phase – bis zur Einführung des Vereinsgesetzes 1964 – seien die Verbote nach dem „Legalitätsprinzip“ erfolgt, überwiegend gegen KPD-nahe Vereinigungen. Die zweite Periode – bis 1990 – sei dadurch gekennzeichnet, dass nach dem „Opportunitätsprinzip“ (139) vor allem gegen deutsche rechtsextreme Vereinigungen vorgegangen wurde. Nach der deutschen Wiedervereinigung – die dritte Phase, die bis heute anhält – nahmen die Verbote insgesamt zu, hinzu kamen nun Verbotsverfügungen gegen kurdische Organisationen („kurdischer Linksextremismus“ [195 ff.]) und Islamisten. Die Bilanz der Verfasserin fällt kritisch und skeptisch aus: Gerade die massiven Verbote rechtsextremer Vereine seien aus „politischem Alarmismus“ (481) heraus erfolgt, die Verbote seien symbolische Politik und in ihrer Wirkung erzielten sie „kaum mehr als einen Placebo-Effekt“ (482). Ähnlich fällt das Urteil hinsichtlich der Verbote der kurdischen Organisationen („Papiertiger“ [483]) und gegen die Islamisten („Alarmismus“ [484]) aus. Gerlach hat eine vom Umfang her beachtliche und materialreiche Studie vorgelegt. Ihren Positionen und Schlussfolgerungen muss man freilich nicht immer folgen, etwa wenn sie die Maßnahmen gegen die extreme Rechte in den 1990er-Jahren pauschal als „Überreaktion der streitbaren Demokratie“ kritisiert und eine mangelnde „Äquidistanz“ im Umgang mit den „Extremismen“ (514) beklagt. Auch die generell geringe Wirkung von Organisationsverboten lässt sich – mindestens an konkreten Beispielen – trefflich bestreiten.
Christoph Kopke (CKO)
Dr. phil., Dipl.-Pol., wiss. Mitarbeiter, Moses Mendelsohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 2.37 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Christoph Kopke, Rezension zu: Julia Gerlach: Die Vereinsverbotspraxis der streitbaren Demokratie. Baden-Baden: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35512-die-vereinsverbotspraxis-der-streitbaren-demokratie_42835, veröffentlicht am 22.11.2012. Buch-Nr.: 42835 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken