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Werner Benecke

Die Ostgebiete der Zweiten Polnischen Republik. Staatsmacht und öffentliche Ordnung in einer Minderheitenregion 1918-1939

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 1999; XII, 321 S.; geb., 88,- DM; ISBN 3-412-01199-1
Diss. Göttingen. - Der am 18. März 1921 geschlossene Vertrag von Riga hatte offiziell den Kriegszustand zwischen Polen und Sowjetrussland beendet und fixierte die gemeinsame Staatsgrenze. Die Grenzziehung durchschnitt jedoch litauisches, weißrussisches, ukrainisches und polnisches Siedlungsgebiet, sodass sich die junge Zweite Republik Polen gleich mit der Irredentaproblematik in ihren Ostgebieten (auch Kresy genannt) konfrontiert sah. Ohnedies erwies sich der Anspruch der Rzeczpospolita, diese vier nordöstlichen Wojewodschaften Wilna, Nowogrodek, Polesie und Wolyn in das neue Staatswesen schnell wirtschaftlich und kulturell zu integrieren, als problematisch. Benecke versucht deshalb anhand neuerer Archivmaterialien, "die konkreten Probleme der Integration der Kresy in den staatlichen Gesamtzusammenhang aufzuzeigen, wie sie sich aus der Perspektive der vor Ort Betroffenen darboten" (3). Seine Grundannahme ist, dass sich die Politik Warschaus nicht nach den Maximen der Minderheitenpolitik richtete, sondern sicherheitspolitische Erfordernisse im Vordergrund standen. "Jegliche Kresypolitik trug somit die Konnotation nationaler Sicherheitspolitik." (287) Im Hinblick auf die vom Krieg und Bürgerkrieg zerstörten und strukturschwachen Ostgebiete kommt Benecke zur Einschätzung, dass die Kresypolitik der Zweiten Republik alles andere als konzeptlos war: "Die Heterogenität der Kresy, verstanden als die von der Landesnatur, Tradition und aktueller Not erzwungenen wirtschaftlichen Besonderheiten, die Vielfalt an nur oberflächlich miteinander ausgeglichenen ökonomischen Interessen, die kulturellen Orientierungen auf das russische und sowjetische Vorbild, die Disparität der Vorstellungen dessen, was im öffentlichen Leben auf den Dörfern Ostpolens gerecht, was notwendig, was vorrangig und was überflüssig war, erwies sich einerseits als gewaltiges Hindernis für die Durchsetzung weiter Bereiche der Innenpolitik. Auf der anderen Seite verstand es die Rzeczpospolita, eben diese Heterogenität in einer klugen Variante des divide et impera zu ihrem Vorteil zu nutzen." (290) Inhaltsübersicht: 1. Konzepte künftiger polnischer Ostgebietspolitik: 1.1 Um die Gestalt der Ostgrenze Polens; 1.2 Die Idee des Inkorporationismus; 1.3 Die Idee des Föderalismus; 1.4 Militärische Fakten und publizistischer Kampf; 1.5 Föderalimus versus Inkorporationismus? 2. Die Folgen von Krieg und Bürgerkrieg - Die Kresy nach 1920; 3. Grenzland und nationale Sicherheit: 3.2 Moskau; 3.3 Berlin; 3.4 Das Aufgebot an Sicherheitskräften. 4. Das wirtschaftliche Fundament: Der Umbau der Landwirtschaft in den Kresy: 4.1 Zur Problemstellung; 4.2 Die Besitzverhältnisse; 4.3 Ansätze, Erwartungen und Institutionen; 4.4 Die Frage der Servitutenablösung; 4.5 Die Auflösung der Landzersplitterung; 4.6 Die Parzellierung von Großgrundbesitz; 4.7 Die Militärkolonisation in den Kresy; 4.8 Die Ergebnisse der Landreform; 4.9 Landreform in Ost und West - Das Problem der nationalen Frage. 5. Die Verwaltung in den Kresy der Zweiten Republik: 5.1 Die staatliche Verwaltungsstruktur; 5.2 Die territoriale Selbstverwaltung. 6. Staat und orthodoxe Kirche in den Kresy: 6.1 Die Ausgangslage; 6.2 Das zentrale Anliegen des Staates: Die umstrittene Autokephalie; 6.3 Die materielle Grundlage: Staatsbürgerschaftsfrage, Reduktion und Regulierung; 6.4 Die Sekten; 6.5 Nationale Veränderungen innerhalb der orthodoxen Kirche; 6.6 Die Neunion; 6.7 Rzeczpospolita und pravoslavie. 7. Schule in den Kresy: 7.1 Materielles Fundament und Akzeptanz auf dem Dorf; 7.2 Der minderheitenpolitische Aspekt des Schulwesens; 7.3 Die Lex Grabski. 8. Legitimationskrise und Assimilationsdruck: Die Kresy unter dem wachsenden Einfluß des Militärs: 8.1 Der Norden: Die langsame sprachliche Assimilation; 8.2 "Revindikation" und versuchte Polonisierung im Süden; 8.3 Die "Wiedergewinnung der Seelen"; 8.4 Autoritätsverfall und autoritäres Handeln.
Wilhelm Johann Siemers (Sie)
Dipl.-Politologe, Journalist, Redakteur der Sprachlernzeitschrift vitamin de, Florenz.
Rubrizierung: 2.62 | 2.23 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Wilhelm Johann Siemers, Rezension zu: Werner Benecke: Die Ostgebiete der Zweiten Polnischen Republik. Köln/Weimar/Wien: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/10540-die-ostgebiete-der-zweiten-polnischen-republik_12464, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 12464 Rezension drucken