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Gerhard Simon (Hrsg.)

Die neue Ukraine. Gesellschaft - Wirtschaft - Politik (1991-2001)

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2002; VIII, 363 S.; brosch., 30,50 €; ISBN 3-412-12401-X
Als im Dezember 1991 nach der Auflösung der UdSSR die Ukraine als souveräner Staat anerkannt wurde, herrschte in Russland und im Westen Skepsis, ob der neue Staat wirtschaftlich und politisch lebensfähig sei. Heute, nach mehr als zehn Jahren ukrainischer Unabhängigkeit, wird dem Land eine gelungene Staatsbildung attestiert. Allerdings waren die Voraussetzungen alles andere als optimal: "Kaum ein europäisches Land ist nach historischem Herkommen, Sprache, Sozialstruktur und Religion so zerrissen wie die Ukraine." (7) Kein Wunder, dass die inneren Strukturen von Staat und Gesellschaft bis heute noch wenig Festigkeit aufweisen. Die Befürchtungen, dass das Land aufgrund von Regionalismus und Separatismus auseinander brechen könne, erreichten 1994 ihren Höhepunkt. Doch mit der Wahl des noch heute amtierenden Präsidenten Leonid Kutschma, der damals den ersten Staatschef Leonid Krawtschuk ablöste, beruhigte sich die Lage. Die ukrainische Führung war bestrebt, durch maßvolle Kooperation Auseinandersetzungen zu vermeiden. Beim Aushandeln von solchen Kompromissen spielten Patronage, Klientelismus und Korruption eine wesentliche Rolle und wurden alsbald zu den prägnanten Strukturmerkmalen des politischen Systems der Ukraine. Dieser Weg ist aber keine Sackgasse: Es wird sich zeigen, ob die Ukraine sich in nächster Zeit zu einer demokratischen Ordnung westlichen Typs entwickelt, oder ob sich die tendenziell bestehende autoritäre Oligarchie auf Dauer durchsetzen kann. Außenpolitisch ist die Staatlichkeit weitgehend gesichert, trotz anfänglicher russisch-ukrainischer Irritationen um die Aufteilung der Schwarzmeerflotte und die Integrität der Halbinsel Krim. Dennoch bleiben zwei latente Gefährdungspotenziale bestehen: ein möglicher russischer Revisionismus und die halbherzige Haltung des Westens bezüglich der Integration der Ukraine in NATO- und EU-Strukturen. Die Beiträge der Wissenschaftler aus der Ukraine, aus Großbritannien und Deutschland ziehen nach einem Jahrzehnt wissenschaftlich professionell und auf aktuellem Stand eine Bilanz der wesentlichen innen- und außenpolitischen Bereiche. Untersucht werden die Entstehungsbedingungen der ukrainischen Unabhängigkeit, die Verfassungsinstitutionen und ihr labiles Arrangement, die Schwäche der zivilen Gesellschaft, der Regionalismus, die Kirchen, der verzögerte Umbau der Wirtschaft und das Ringen um eine außenpolitische Standortbestimmung. Entstanden sind die Aufsätze aus dem von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Forschungsprojekt "Die Ukraine auf dem Weg zur Demokratie" (1) und einer Konferenz des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln im Jahr 2000. Auch wenn die Autoren unterschiedliche Akzente setzen und manche Einschätzungen deutlich voneinander abweichen, betonen sie die Erfolge beim Aufbau des neuen ukrainischen Staates und der Marktwirtschaft. "Ebenso herrscht Konsens, dass autoritäre Tendenzen der Präsidialherrschaft zunehmen, dass Medien und die Wähler manipuliert werden." (3) Die Zukunft der neuen Ukraine bleibt vorerst unentschieden. Inhalt: Gerhard Simon: Die Ukraine auf dem Weg - wohin? (5-27); Jaroslaw Hryzak: Die kommunistische Vergangenheit in der Gegenwart (29-49); Taras Kuzio: Staatskapazität, nationale Integration und Zivilgesellschaft (51-73); Alexander Ott: Präsident, Parlament, Regierung - Wie konsolidiert ist das System der obersten Machtorgane? (75-98); Oleksij Haran: Der regionale Faktor in der ukrainischen Politik (99-125); Gwendolyn Sasse: Die Autonome Republik der Krim zwischen Separatismus und Einheitsstaat (127-147); Peter Hilkes: Nationswerdung und die Ukrainisierung des Bildungswesens (149-173); Myroslaw Marynowitsch: Die Rolle der Kirchen in der postkommunistischen Gesellschaft (175-196); Igor Burakowskij: Wirtschaftsreformen: die Kluft zwischen Erwartungen und Ergebnissen (197-223); Heiko Pleines: Verschleppte Reformen und ihre Folgen: Fallbeispiel Energiesektor (225-243); Volkhart Vincentz: Perspektiven für einen Reformschub in der Wirtschaft (245-265); Oleksij Haran: Innerpolitische Bestimmungsfaktoren der Außenpolitik (267-295); Rainer Lindner: Die Ukraine und Deutschland im neuen Europa: Hypotheken und Chancen ihrer Partnerschaft (297-319); James Sherr: Eine gescheiterte Partnerschaft? Die Ukraine und der Westen (321-346).
Tetyana Lutsyk (TL)
Lizentiat der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen (lic. oec. int.), Doktorandin, wiss. Mitarbeiterin, Institut für Wirtschaftspolitik, Universität Leipzig.
Rubrizierung: 2.62 | 2.2 | 4.22 Empfohlene Zitierweise: Tetyana Lutsyk, Rezension zu: Gerhard Simon (Hrsg.): Die neue Ukraine. Köln/Weimar/Wien: 2002, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/16907-die-neue-ukraine_19424, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 19424 Rezension drucken