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Martha Nussbaum

Die neue religiöse Intoleranz. Ein Ausweg aus der Politik der Angst. Aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus de Palézieux

Darmstadt: WBG Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2014 ; 220 S. ; geb., 39,95 €; ISBN 978-3-534-26460-5
Die US‑amerikanische Philosophin Martha Nussbaum beobachtet in ihrem nun ins Deutsche übersetzten Buch eine zunehmende religiöse Intoleranz in der westlichen Welt, die sie zurückführt auf ein Gefühl der Angst. Festmachen lasse sich diese religiöse Intoleranz, die sich am deutlichsten gegenüber dem Islam und in Europa zeige, an zahlreichen Beispielen, etwa den Burka‑Verboten in Italien, Belgien und Frankreich oder auch an der Reaktion auf das Breivik‑Attentat in Norwegen, bei dem die Medien zunächst fälschlicherweise von einem islamistischen Terroranschlag ausgingen. Nach einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Gefühl der Angst schildert Nussbaum, warum sie die Angst und Intoleranz gegenüber Religionen in den meisten Fällen – Ausnahmen sind hier unter bestimmten Bedingungen Sicherheitsmaßnahmen – für ungerechtfertigt hält. Angst sei ein narzisstisches Gefühl, das eine „Bedrohung der Unparteilichkeit“ darstelle und „die Liebe“ (56) sowie das unvoreingenommene Wahrnehmen der anderen Menschen verhindere. Aus Nussbaums Sicht bedarf es daher Dreierlei, um zu einem gerechten Miteinander zu finden. Erstens müsse der gleiche Respekt für das Gewissen gelten. Dies bedeute, dass alle Religionen und sonstige Weltanschauungen gleich behandelt werden müssten. Dies könne sowohl durch eine Locke‘sche Neutralität des Staates als auch – und diesen Weg favorisiert Nussbaum – durch eine sogenannte Politik der Anpassung gelingen, bei der den Minderheitenreligionen Ausnahmen wie das Schächten erlaubt würden. Angst führe zudem dazu, an das Fremde unterschiedliche Maßstäbe anzulegen und so im Vergleich zum eigenen Verhalten mit zweierlei Maß zu messen. In diesem Zusammenhang widerlegt Nussbaum alle Argumente für ein Burka‑Verbot. Gegen das weit verbreitete Argument, die Burka symbolisiere die Unterdrückung der Frau im Islam, weist sie etwa auf zahlreiche westliche Praktiken hin, die ebenfalls als Vergegenständlichung gedeutet werden könnten, aber niemand würde diese verbieten wollen – zum Beispiel „Sexmagazine, Pornographie, Aktfotos, enge Jeans“ (101). Als zweiten Punkt fordert Nussbaum daher eine Unparteilichkeit, die eine Reflexion über das eigene Leben voraussetzt. Um zu einem gerechten Urteil gegenüber fremden Religionen zu kommen, müssen darüber hinaus als drittes Element noch der Respekt gegenüber dem Neuen und eine mitfühlende Phantasie vorhanden sein. Nussbaum verlangt, dass wir uns alle in die Lage der Anderen versetzen, neugierig und offen sind. Nur so könne man die derzeitige „Politik der Angst“ (194) überwinden.
Jan Achim Richter (JAR)
Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Martha Nussbaum : Die neue religiöse Intoleranz. Darmstadt: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37783-die-neue-religioese-intoleranz_46089, veröffentlicht am 13.11.2014. Buch-Nr.: 46089 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken