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Silke Hensel / Hubert Wolf (Hrsg.)

Die katholische Kirche und Gewalt. Europa und Lateinamerika im 20. Jahrhundert

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2013; 360 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-412-21079-3
Die katholische Kirche hat in verschiedener Weise in gewaltsamen Konflikten Stellung bezogen, hat Gewalt legitimiert, zum Teil gar gefordert oder sie durch unterlassene Hilfeleistung und Schweigen zumindest geduldet. Wie und warum dies geschah, welche Instanzen dabei jeweils beteiligt waren, welchen Akteuren Gewalt zugestanden wurde und inwieweit sich die Positionen der Kirche im Zeitverlauf veränderten, wird in diesem Band anhand von Gewaltkonflikten in Europa und Lateinamerika untersucht. Dabei werden drei verschiedene Perspektiven in den Blick genommen: Im ersten Teil untersuchen die Autorinnen und Autoren die Rolle der Kirche in totalitären antikommunistischen Staaten. Michael Kißener und Andreas Linsemann widmen sich der Haltung der Kirche gegenüber dem NS‑Regime und weisen in ihren Beiträgen auf eine widersprüchliche Reaktion auf die Gewalttaten hin – bis 1933 prangerten deutsche Bischöfe, Priester und Laien die Gewaltpraxis der Nationalsozialisten unmissverständlich an, nach der Reichstagswahl kam zu einem „Verzicht auf klare Distanzierung von Gewaltakten – seien es der Röhmputsch oder Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden“ (122). In Spanien und Lateinamerika wurden staatliche Gewaltakte durch die katholische Kirche legitimiert. So bildete die enge Verflechtung von katholischem Glauben und Nationalismus in Spanien „eine der Grundfesten des [von Franco begründeten] ‚Neuen Staates’“ (96), wie Carlos Collado Seidel ausführt. Und in Argentinien entstand während der Militärdiktatur von 1976 bis1983 eine „eindeutige Symbiose zwischen Militärvikariat und Streitkräften“, die sich nur „vor dem Hintergrund der argentinischen Geschichte als ‚katholische Nation’ verstehen lässt, bei der die Verteidigung des Vaterlandes immer mit der Verteidigung christlicher Werte gleichgesetzt wurde“ (162). Im zweiten Teil des Bandes geht es um die katholische Kirche als Opfer von Verfolgung in säkularen Staaten (am Beispiel Russlands) und infolge antiklerikaler Umwälzungen (am Beispiel Mexikos). Aus der Perspektive der Befreiungstheologie schließlich finden sich im dritten Teil Beiträge über die Rolle der Kirche als Anwalt der Armen und die innerkirchlichen Debatten darüber, ob gewaltsamer Widerstand gegen Unterdrückung und strukturelle Gewalt legitim ist. Insgesamt bildet der Band somit die vielfältigen Facetten des Themas ab und zeigt, dass der katholischen Kirche in Gewaltfragen, so Hensel und Wolf, weder eine „eindeutig friedfertige noch eine eindeutig gewaltsame Position“ (28) zugeschrieben werden kann.
Anke Rösener (AR)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.23 | 2.25 | 2.61 | 2.65 | 2.62 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Silke Hensel / Hubert Wolf (Hrsg.): Die katholische Kirche und Gewalt. Köln/Weimar/Wien: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36614-die-katholische-kirche-und-gewalt_44687, veröffentlicht am 16.01.2014. Buch-Nr.: 44687 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken