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Maximilian Gottschlich

Die große Abneigung. Wie antisemitisch ist Österreich? Kritische Befunde zu einer sozialen Krankheit

Wien: Czernin Verlag 2012; 279 S.; hardc., 24,90 €; ISBN 978-3-7076-0410-8
Zwölf Prozent der Bürgerinnen und Bürger meinen, dass „es besser für Österreich wäre, keinen Juden im Land zu haben“. Diese Daten wurden nicht etwa in der Zwischenkriegszeit, sondern 2010/11 im Auftrag des Wiener Kommunikationswissenschafters Maximilian Gottschlich erhoben und mit einer Studie aus dem Jahr 1986 (Affäre Waldheim) verglichen, um einen möglichen Wandel antisemitischer Einstellungen während der vergangenen 25 Jahre zu untersuchen. Die Ergebnisse hat der Autor nun in einem Buch zusammengefasst, das allerdings weit über dieses Vierteljahrhundert und ebenso weit über die Fragestellung hinaus ergründen will, welchen Weg der öffentliche und veröffentlichte Antisemitismus in der Zweiten Republik genommen hat. Gottschlich analysiert die Rolle der Medien und ihre Definitionsmacht, indem er fragt, „welche Bedeutung die Institutionen gesellschaftlicher Kommunikation für die soziale Genese des Antisemitismus haben“ (18). Dabei schreibt er nolens volens eine Geschichte der Zweiten Republik, insbesondere über den Opfermythos und den Preis des materiellen Wiederaufbaus unter Vernachlässigung des kritisch geistig-kulturellen Wiedererstarkens. Gottschlich agiert moralisch und demokratiepolitisch motiviert, versteht er seine Abhandlung gegen den Antisemitismus doch „als empirisch fundiertes Plädoyer, gegen dieses Leiden der Gesellschaft mehr zu tun als bisher“ (9). Denn der Autor diagnostiziert, dass der heutige, neue und „demokratische“ Antisemitismus zwar Auschwitz und den Holocaust meide, aber in der Thematisierung Israels und des Nahostkonflikts ein Einfallstor gefunden habe. Um zu ergründen, warum Antisemitismus – wenn auch in neuem Gewande – in Österreich nach wie vor Bestand hat, erforschte Gottschlich mittels Diskursanalyse anhand zahlreicher Fallbeispiele die Gelegenheiten der Trauerarbeit und Vergangenheitsbewältigung. Vom Kreisky-Wiesenthal-Konflikt 1970 über den Fall Friedrich Peter 1975 bis zur Affäre Waldheim 1986 hat der Autor die Rolle der Medien im Blick und muss zugestehen, „dass von der Journalismuskultur der Zwischenkriegszeit nichts mehr übrig geblieben war“ (72). Die „autochthone Provinzialisierung“ (Christian Fleck) hatte einst dazu geführt, dass die österreichischen Medien erst sehr spät bereit waren, ihre demokratiepolitische Aufgabe wahrzunehmen. Das Versagen der Medien wird dadurch bei Gottschlich zum Dreh- und Angelpunkt eines „defizienten Demokratiebewusstseins“ (242).
Tamara Ehs (TE)
Dr. phil., Politikwissenschaftlerin am IWK Wien und Lehrbeauftragte an der Universität Salzburg (http://homepage.univie.ac.at/tamara.ehs/)
Rubrizierung: 2.4 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Tamara Ehs, Rezension zu: Maximilian Gottschlich: Die große Abneigung. Wien: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35107-die-grosse-abneigung_42254, veröffentlicht am 03.05.2012. Buch-Nr.: 42254 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken