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Michel Wieviorka

Die Gewalt. Aus dem Französischen von Michael Bayer

Hamburg: Hamburger Edition 2006; 230 S.; geb., 25,- €; ISBN 978-3-936096-60-6
Das Spektrum derjenigen Ereignisse oder Verhaltensweisen, die – je nach theoretischer oder subjektiver Perspektive – als Gewalt bezeichnet werden können, ist so weit, dass sich die Sozialwissenschaften schwer tun mit einem allgemein akzeptierten Gewaltbegriff. Die definitorischen Probleme hängen auch mit dem historischen Kontext zusammen, in dem die entsprechenden Begriffe entwickelt worden sind. Der französische Soziologe Wieviorka – Nachfolger von Alain Touraine an der École des Hautes Études en Science Sociales in Paris – geht in seiner 2004 in Frankreich erschienenen Studie von der Überzeugung aus, dass wir es seit Ende der siebziger Jahre mit einem Formenwandel von Gewalt zu tun haben, der sich nicht mehr mit den klassischen Konzepten verstehen lässt. Die neue Ära der Gewalt beruht auf zwei wesentlichen langfristigen Veränderungen: Zum einen hebt der Autor mit dem Niedergang der Arbeiterbewegung und dem Ende des Ost-West-Konflikts das Zerbrechen der kollektiven Ordnungssysteme der Nachkriegsära hervor. Zum anderen haben die Globalisierungsvorgänge zu einer nachhaltigen Schwächung des (national-)staatlichen Gewaltmonopols und damit der gesellschaftlichen Kohäsion geführt. Beide Entwicklungen begünstigen eine zunehmende Entinstitutionalisierung und Individualisierung von Gewalt: Sie nimmt heute viel mehr als früher ökonomische, meta-politische oder religiöse Formen an. Dieser Formenwandel – das ist der vielleicht provozierendste Teil der Studie – verlangt eine viel stärkere Auseinandersetzung mit der Subjektivität der Gewaltakteure. Für diese Zwecke entwickelt Wieviorka eine Typologie von fünf Gewaltsubjekten, die – jenseits aller Psychologisierungen – vom Nicht-Subjekt, dem reinen Befehlsempfänger, zum Hyper-Subjekt reicht, das sein Handeln mit religiösem Sinn legitimiert.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Michel Wieviorka: Die Gewalt. Hamburg: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/26391-die-gewalt_30749, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 30749 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken