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Shlomo Sand

Die Erfindung des Landes Israel. Mythos und Wahrheit. Aus dem Hebräischen von Markus Lemke

München: Propyläen Verlag 2012; 396 S.; geb., 22,99 €; ISBN 978-3-549-07434-3
„Als Historiker, also als diplomierter Sachwalter der Erinnerung“ (317), dekonstruiert Shlomo Sand den israelischen Gründungsmythos. Dabei argumentiert der Tel Aviver Wissenschaftler weder aus theologischer Perspektive noch nimmt er ethnische Sichtweisen ein. Er versucht vielmehr, mithilfe reichhaltigen historischen und historiografischen Materials „die ethnozentrische, ahistorische und essentialistische Auffassung ins Wanken zu bringen“ (24), die dem verbreiteten – wie er formuliert – „Mythos“ der israelischen Staatsgründung zugrunde liegt. Als scharfer Kritiker der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern kritisiert er gängige Redeweisen: Vom jüdischen Volk etwa zu sprechen, ist für ihn genauso sonderbar wie es die Rede von einem buddhistischen oder einem evangelischen Volk wäre. „Das gemeinsame Schicksal von Anhängern einer Glaubensgemeinschaft und eine gewisse Solidarität unter ihnen machen diese noch nicht zu einem gemeinschaftlichen Volk oder zu einer nationalen Solidargemeinschaft.“ (25) Sands Dekonstruktion geht an die Wurzeln des israelischen Selbstverständnisses. Entgegen der aktuellen Regierungsverlautbarungen hat es – rein historisch betrachtet – nie ein Streben des Judentums in das sogenannte Land der Väter gegeben. Diese Idee vom angestammten Land ist rein legitimatorischer Natur und hat – so Sand – mit historischen Fakten überhaupt nichts zu tun. Vielmehr belegt der Autor in seiner provozierenden Studie, dass erst die nationalistisch denkenden europäischen Zionisten im 19. Jahrhundert die Idee von der jüdischen Heimkehr in Umlauf gebracht haben. Dieses populistische Ansinnen, das durch „begnadete Theologen“ (93) unterstützt wird, die sich damit selbst ein Land bescheren, wird radikal als ideologisches Denkmuster entlarvt. Weder leben die allermeisten Juden in Israel noch zieht es sie gar persönlich dorthin. Sand weist mit viel Liebe zum historischen Detail nach, dass der geschichtliche Kontext „von der inneren Kolonisation zur Besiedlung nach außen“ (282) in die „zionistische Geopolitik“ (264) eingebettet ist, die aus ihrem Selbstverständnis ein „historisches Anrecht“ auf ein vermeintlich „angestammtes Land“ (243) ableitet. Im Umkehrschluss betont Sand damit das Recht der Palästinenser auf ihr Heimatland. Er appelliert an die israelische Gesellschaft, die historischen Tatsachen anzuerkennen und politisch einen Ausgleich mit den palästinensischen Nachbarn zu suchen.
Karl-Heinz Breier (KHB)
Prof. Dr., Institut für Sozialwissenschaften und Philosophie, Universität Vechta.
Rubrizierung: 2.63 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Karl-Heinz Breier, Rezension zu: Shlomo Sand: Die Erfindung des Landes Israel. München: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35722-die-erfindung-des-landes-israel_43140, veröffentlicht am 11.04.2013. Buch-Nr.: 43140 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken