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Eric A. Posner / Adrian Vermeule

Die entfesselte Exekutive. Die Krise des liberalen Legalismus. Aus dem Englischen übersetzt von Karl Heinz Siber

Berlin: Duncker & Humblot 2014; XI, 287 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-428-13850-0
Die Frage, wie weit eine Demokratie gehen darf, um in einer Krisensituation ihr eigenes Fortbestehen sicherzustellen, ist eine der demokratietheoretischen Kernfragen par excellence. Denn hier berühren sich gerade noch demokratisches und nicht mehr demokratisches Regieren. Wenn die Exekutive angesichts von Krisensituationen ihre Kompetenzen erweitert und diese erweiterten Kompetenzen dann auch jenseits der Krise weiter beibehält, dann liegt die von Giorgio Agamben zuletzt prominent vertretene These nahe, der Ausnahmezustand sei das eigentliche Paradigma des Regierens in modernen westlichen Demokratien. Posner und Vermeule bewegen sich im Rahmen dieser Debatte, allerdings vertreten sie eine ungewöhnliche Position. Nicht zuletzt infolge der Anschläge des 11. Septembers 2001 habe in den Vereinigten Staaten, die ohnehin schon über eine sehr mächtige Exekutive verfügten, eine starke Verschiebung innerhalb des gewaltenteiligen Institutionengefüges hin zum Regieren nach executive orders stattgefunden. Das Lager in Guantanamo, das Foltern von Terrorverdächtigen durch eigene wie durch Geheimdienste befreundeter Staaten, der USA Patriot Act sowie die staatliche Rettung systemrelevanter Banken in der Wirtschafts‑ und Finanzkrise stünden für diese Entwicklung. Was in weiten Teilen der Debatte über demokratische Qualität und den Ausnahmezustand als Problem begriffen wird, verstehen Eric Posner und Adrian Vermeule indes als Stärke, ja als angemessene Form der Reaktion auf so schwierige Herausforderungen wie den internationalen Terrorismus. Eine entfesselte Exekutive sei besser als ein an den Federalist Papers orientierter legaler Liberalismus, der versuche, die Macht der Exekutive durch die Legislative und die Judikative einzuhegen und sie weniger reaktionsfähig zu machen. Ob indes die öffentliche Meinung jenes neue, organischere System der Macht‑ und Gewaltenteilung sein könne, wie die Autoren vorschlagen, darf getrost bezweifelt werden. Denn bereits Foucault hat gezeigt, dass die immer stärker, technisch immer ausgereiftere moderne Regierung nicht nur auf das Außen, sondern eben auch auf das Innere der Subjekte zuzugreifen vermag. Anstelle einer bloß der Gouvernementalität der Gegenwart erlegenen öffentlichen Meinung sind es schließlich doch die Grund‑ und Freiheitsrechte sowie die institutionell unabhängigen Gerichte, die zumindest einen Teil der Mensch‑ und Bürgerlichkeit der Subjekte der Moderne zu bewahren vermögen. Posner und Vermeule haben also ein kontroverses und allein schon deswegen wichtiges Buch geschrieben.
{LEM}
Rubrizierung: 2.642.21 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Eric A. Posner / Adrian Vermeule: Die entfesselte Exekutive. Berlin: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38494-die-entfesselte-exekutive_46718, veröffentlicht am 04.06.2015. Buch-Nr.: 46718 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken