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Philipp Ther

Die dunkle Seite der Nationalstaaten. "Ethnische Säuberungen" im modernen Europa

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011 (Synthesen. Probleme europäischer Geschichte 5); 304 S.; 39,95 €; ISBN 978-3-525-36806-0
Heute weltweit geächtet, gehörten ethnische Säuberungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum akzeptierten Instrumentarium internationaler Politik. In seiner konzisen Überblicksdarstellung schildert der Wiener Lehrstuhlinhaber für Geschichte Ostmitteleuropas Ther sie als „Kind des Nationalstaats und damit ein[en] zentrale[n] Bestandteil der europäischen Moderne“ (7). Die Untersuchung weist zugleich teilweise über den europäischen Rahmen hinaus und bezieht die ehemaligen Kolonialgebiete Indien und Palästina mit ein. Seinen Gegenstand definiert Ther – in analytischer Abgrenzung von Genoziden – als eine „systematisch organisierte, mit Gewalt verbundene und in der Regel dauerhafte Zwangsaussiedlung einer durch ihre Ethnizität oder Nationalität definierten Gruppe“ (7). Voraussetzungen für ethnische Säuberungen seien u. a. ein mit dem modernen Nationalismus verbundenes Homogenitätsideal und eine Territorialisierung des Denkens gewesen. Sich souverän auf der Basis der aktuellen internationalen Forschungsliteratur bewegend, entfaltet Ther in seiner akteurszentrierten Analyse vier historische Perioden. Ausgehend von den Balkankriegen kam es in deren erster Phase von 1912 bis 1925 zu einer Ausweitung von vertraglich geregelten sogenannten Austauschmaßnahmen, wobei auf das Prinzip der Gegenseitigkeit zunehmend verzichtet wurde. Die zweite Phase der Jahre 1938 bis 1944 war vom Phänomen flächendeckender Säuberungen durch die Terrorherrschaft NS‑Deutschlands geprägt. Von 1944 bis 1948 schließlich erreichten ethnische Säuberungen einen zuvor präzedenzlosen Umfang. Sie wurden von den Alliierten intensiv vorangetrieben und fanden besonders in Polen und der Tschechoslowakei eine breite Zustimmung in der Bevölkerung. Die vierte Phase der Jugoslawienkriege (1991 bis 1999) schließlich unterschied sich etwa durch internationale Rückkehrprogramme von den vorherigen, wobei Konflikte stellenweise bis heute wieder aufflackern. Eine kommentierte Bibliografie rundet den instruktiven Band ab, in dem leider häufig ein eher geringschätziger Tonfall gegenüber den deutschen Vertriebenen irritiert.
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 4.1 | 4.41 | 4.42 | 2.25 | 2.61 | 2.63 | 2.31 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten. Göttingen: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34373-die-dunkle-seite-der-nationalstaaten_41275, veröffentlicht am 21.02.2013. Buch-Nr.: 41275 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken