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Mirjam Weiberg-Salzmann

Die Dekonstruktion der Demokratie durch die Kultur. Der Bürgerkrieg auf Sri Lanka

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2011 (Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung 10); 474 S.; 69,- €; ISBN 978-3-8329-5862-6
20 Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts muss die modernisierungstheoretisch fundierte These, kulturelle Differenzen würden im Rahmen liberaldemokratischer Regierungssysteme zugunsten von Funktions- und Leistungskriterien an politischer Brisanz verlieren, endgültig verabschiedet werden. An die Stelle der globalen bipolaren Konfliktordnung sind vielfältige regionale Konflikte getreten, in denen Kultur eine Schlüsselstelle zu besetzen scheint. Als Paradebeispiel einer gewaltförmigen Eskalation kultureller Antagonismen bei gleichzeitiger Demokratisierung gilt der Krieg zwischen der hinduistisch-tamilischen Minderheit und der buddhistisch-singhalesischen Mehrheit auf Sri Lanka. Entgegen der These, dass „demokratische Systeme nach innen und außen pazifizierend wirken“ (17), geht Weiberg-Salzmann von der simplen empirischen Beobachtung aus, dass „es kaum einer der Demokratien jenseits der Ersten Welt gelungen [ist], tiefe gesellschaftliche Bruchlinien [...] und daraus entstehende Spannungen gewaltfrei zu bearbeiten“ (23). Sie fragt daher, inwieweit Demokratisierung auf Sri Lanka eine „wirksame Pazifizierungsstrategie“ ist. Die Antwort fällt differenziert aus. Die Politologin zeigt eindrucksvoll, dass die liberaldemokratische „Liberalisierungs- und Egalisierungsideologie“ (17) in Sri Lanka auf eine Weise mit persistenten Gewaltordnungen, Ethnonationalismus, Klientelismus und Patronage zusammenspielt, dass sie eher als Brandbeschleuniger denn als Feuerlöscher fungieren. Das möchte die Autorin natürlich nicht als eine definitive Absage an eine mögliche demokratische Zukunft des Inselstaates verstanden wissen. Weiberg-Salzmann betont aber, dass Demokratie und Frieden nur dann eine Chance haben, wenn es gelingt, eine imaginäre, kommunale Identität zu konstruieren, die die ethnischen Differenzen überspannt. Ohne einem resignativen Kulturessentialismus anheimzufallen, macht die Einzelfallstudie auf die wichtige Erkenntnis aufmerksam, dass die „konkrete Funktionsweise und Funktionsfähigkeit einer Demokratie von den kulturellen Bedeutungssystemen und Handlungsstrategien ihrer Akteure“ (413) abhängen, die auch durch ausgeklügelte, konsensdemokratische Institutionen nicht ohne Weiteres aus dem Spiel genommen werden können.
Marius Hildebrand (HIL)
M. A., Politikwissenschaftler, Doktorand, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.68 | 2.2 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Marius Hildebrand, Rezension zu: Mirjam Weiberg-Salzmann: Die Dekonstruktion der Demokratie durch die Kultur. Baden-Baden: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33511-die-dekonstruktion-der-demokratie-durch-die-kultur_40100, veröffentlicht am 06.10.2011. Buch-Nr.: 40100 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken