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Niklas Perzi

Die Beneš-Dekrete. Eine europäische Tragödie

St. Pölten/Wien/Linz: NP-Buchverlag 2003; 365 S.; geb., 23,90 €; ISBN 3-85326-099-3
Die Beneš-Dekrete sanktionierten 1945 die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei. Mit ihnen allein lässt sich aber nicht das Verhältnis der deutsch- und tschechischsprachigen Böhmen und ihre gemeinsame, 700 Jahre währende Geschichte beschreiben. Der österreichische Historiker Perzi beginnt seine Analyse daher im Mittelalter, als die deutsch- und tschechischsprachige Bevölkerung sich unterschiedslos als Böhmen sah. Mit dem Aufkommen der Nationalstaatsidee habe sich ihr Verhältnis verändert, die Einladung 1848 in die Frankfurter Paulskirche sei auf tschechischen Druck hin ausgeschlagen worden. Die „Tschechen [sahen] in ihren Landsleuten doch eher Vorposten eines fremden Volkes denn gleichberechtigte Spieler" (39). Dennoch seien die Sudetendeutschen noch in der ersten Republik die am besten gestellte Minderheit Mitteleuropas gewesen. Beneš, erst Außenminister und seit 1935 Staatspräsident, hoffte, dass die nationale Frage und damit die Minderheitenproblematik durch Fortschritt und Demokratisierung verschwänden. Ernüchtert von der Realität, setzte er dann auf eine Entwicklung hin „zum humanen Nationalismus" (134). Mit den Gebietsansprüchen des Dritten Reichs trat aber das Gegenteil ein - Beneš wäre zur Entschärfung des Konflikts sogar bereit gewesen, bis zu 6.000 Quadratkilometer des Landes an das Deutsche Reich abzutreten. Perzi beschreibt die Versäumnisse der Demokraten, für ihren Staat einzutreten, und die Bedeutung der Münchener Konferenz für das Land. Später habe Beneš auf eine deutsche Kriegsniederlage und damit die Chance gehofft, die Tschechoslowakei wieder herzustellen. Zahlreiche der Dekrete seien von ihm und der Regierung deshalb im Londoner Exil vorbereitet worden. „Die deutsche Niederlage ermöglichte es [Beneš], 1945 alle Deutschen zu vertreiben und das ganze Land zu behalten" (295). Perzi analysiert die rechtliche Bedeutung der Dekrete für die Gegenwart und stellt die Frage, ob sie mit den Menschenrechten, dem Völkerrecht und dem Recht der Europäischen Union vereinbar sind. Da die Tschechoslowakei sämtlichen Verträgen erst nach 1945 beigetreten sei, so das Analyseergebnis, haben sie keine Auswirkungen auf die Dekrete und deren Rechtsfolgen. „Eine Aufhebung ex tunc würde nach tschechischer Auffassung die rechtliche und staatliche Kontinuität der ?SR in Frage stellen" (313).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.62 | 2.31 | 4.42 | 4.41 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Niklas Perzi: Die Beneš-Dekrete. St. Pölten/Wien/Linz: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/19879-die-bene-dekrete_23140, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 23140 Rezension drucken