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Rüdiger Voigt: Die Arroganz der Macht. Hochmut kommt vor dem Fall

02.08.2017
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Autorenprofil
Martin Repohl, M.A.
Baden-Baden, Nomos 2017

Seit einiger Zeit erhärtet sich der Eindruck, dass das Verhältnis zwischen Bürgern und dem Staat beziehungsweise den Politikern, die ihn regieren, schwieriger wird. So lässt sich kaum von der Hand weisen, dass der Staat in seiner Konfrontation mit jüngsten Krisen nicht nur autoritärer wird, sondern auch mehr und mehr in gesellschaftliche und private Lebensbereiche eindringt. Dies gilt auch für den Kapitalismus, der sich nach der globalen Finanzkrise von 2007/2008 nicht nur stabilisieren konnte, sondern auch zu neuem Wachstum fand. Während sich also auf staatlich-ökonomischer Seite eine verstärkte autoritäre Integration beobachten lässt, von der die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, die EU-Krisenpolitik oder der Streit um die sogenannte Flüchtlingskrise als jüngste Beispiele zeugen, lässt sich auf der Seite der Bürger ein wachsender Unmut, wachsende Entfremdung vom Politischen und eine grobe Ablehnung der Eliten und der repräsentativen Demokratie beobachten. Dieser Unmut bricht sich immer wieder Bahn, wie zum Beispiel das Brexit-Votum oder der enorme Zulauf für die Rechtspopulisten von AfD oder PEGIDA zeigt.

Ist die liberale Wohlfahrtsdemokratie der Nachkriegszeit damit an ihrem Ende angelangt, wie zum Beispiel der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch in seinem Buch „Postdemokratie“ diagnostizierte? Der Politik- und Staatswissenschaftler und emeritierte Professor für Verwaltungswissenschaft an der Universität der Bundeswehr München Rüdiger Voigt geht in seinem Buch „Die Arroganz der Macht – Hochmut kommt vor dem Fall“ dieser Frage nach. Nach Beobachtung von Voigt stellen die genannten Ereignisse um „die Jahreswende 2016/2017 [offenbar] eine Zäsur dar, die mit der des Jahres 1917 vergleichbar ist. Mit dem Jahr 2017 scheint ein neues Zeitalter begonnen zu haben“ (7). Welches Zeitalter denn nun begonnen habe, ist für Voigt jedoch nicht so leicht zu beantworten wie es die Diagnostiker der „Postdemokratie“, des „Populismus“ oder der „postfaktischen Politik“ meinen zu können. Fest steht jedoch auch für ihn, dass die bislang Herrschenden überrascht und entsetzt sind von den Reaktionen der von ihnen Beherrschten. Es handelt sich also um eine tiefgreifende Störung in der Beziehung zwischen Herrschenden und Beherrschten, die sich aus der Ablehnung von beiden Seiten speist. Voigt geht daher in seinem Buch der Frage nach, wie das Dreieck zwischen Staat – Macht – Legitimität konstituiert ist, ob es Grenzen der Demokratie geben kann und ob das Phänomen der „Arroganz der Macht“ wirklich so neuartig ist – oder ob es sich hier nicht vielmehr um einen latenten Bestandteil demokratischer Machtbeziehungen handelt.

Das Buch gliedert sich in drei thematische Abschnitte, die eine überarbeitete Zusammenführung aus bisherigen Beiträgen und Vorträgen darstellen. Der erste Teil befasst sich mit Frage, ob und wie sich die Demokratie in einer Krise befindet. Hierzu werden aktuelle politiktheoretische Überlegungen vorgestellt und den Aspekten Sicherheit versus Freiheit und der Frage nach dem Verhältnis von Regierten und Regierenden zugeordnet. Der zweite Teil versammelt Überlegungen zum Dreieck Staat – Macht – Legitimität. Hier werden unter anderem Gedanken zur dunklen Seite staatlicher Macht, den Apologeten der Macht Niccolò Machiavelli und Carl Schmidt sowie zu Pierre Bourdieus Versuch, die Mechanismen der Macht zu entschlüsseln, vorgestellt und im Hinblick auf die aktuelle politische Situation diskutiert. Der dritte Teil versammelt abschließende Gedanken zur Zukunft der Demokratie. Hier wird unter anderem die Notwendigkeit des Staates, das Problem vermeidlich alternativloser Politik und das Engagement der Bürger als Lebenselixier einer funktionierenden Demokratie dargestellt.

Voigt gelingt es auf überaus lesenswerte und spannende Weise, ein sehr breites Themenspektrum aus politischer Theorie, politischer Soziologie, Staatswissenschaft und Demokratietheorie aufzugreifen und wesentliche Argumente aus diesen Bereichen auf übersichtlich und leicht verständl zusammenzuführen. Hierbei behält der Autor die aktuelle Krise der Demokratie immer im Blick und schafft es durch sein umfassendes Wissen, neue Perspektiven auf aktuelle Pathologien aufzuzeigen. Hervorzuheben ist ebenfalls, dass er Argumente und Perspektiven aus dem gesamten Spektrum des politischen Denkens – von Carl Schmitt bis hin zu Michael Hardt und Antonio Negri – vereint, ohne persönliche Bewertungen vorzunehmen. Voigts politische Meinung scheint immer wieder in der Argumentation auf, lässt jedoch Raum für andere Sichtweisen zu – was seinem engagierten Plädoyer für mehr demokratisches Bürgerengagement zusätzlichen Nachdruck verleiht.

Festzuhalten bleibt, dass die „Arroganz der Macht“ einen hervorragenden Versuch darstellt, sich angesichts einer immer unübersichtlicheren politischen Lage mit dem begrifflichen Instrumentarium der politischen Theorie Klarheit zu verschaffen, um als Konsequenz daraus für eine Revitalisierung der Demokratie durch Bürgerengagement zu plädieren. Dolf Sternbergs Schrift „Ich wünschte ein Bürger zu sein“ kann hier als Vorbild genannt werden. In Anbetracht der sehr differenzierten und kenntnisreichen Analyse der dunkeln Seite demokratischer Herrschaft bleibt dieses Plädoyer dennoch weniger ausführlich, als es sich der Leser wünschen würde. Fundiertere Überlegungen zum Beispiel zur Idee der guten Regierung, wie sie der französische Historiker Pierre Rosanvallon jüngst vorgelegt hat, wären hier anschlussfähig gewesen. Mit der Lektüre des Buches wird deutlich, dass die Arroganz der Herrschenden auch in einer Demokratie immer wieder durchbrechen kann und dass viele zu beobachtende Krisenphänomene nicht nur auf die heutige Zeit beschränkt sind. Die Binsenweisheit, dass Hochmut vor dem Fall kommt, kann dabei auch als Aufforderung zu einer Wiederaneignung der Demokratie verstanden werden.

 

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Literaturhinweis

Pierre Rosanvallon
Die gute Regierung
Hamburg, Hamburger Edition 2016


Aus der Annotierten Bibliografie

Colin Crouch

Postdemokratie. Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2008 (edition suhrkamp 2540); 160 S.; 10,- €; ISBN 978-3-518-12540-3
Unter dem Einfluss von Industrieverbänden stehende Parteiapparate, Entscheidungsfindung hinter verschlossenen Türen und Schwächung der Parlamente – dies sind, so Crouch, zentrale Merkmale vieler westlicher politscher Systeme im 21. Jahrhundert. Nicht zuletzt der Diskurshoheit des Neoliberalismus sei es zu verdanken, dass sich Politiker aller Couleur der Rationalität des Standortwettbewerbs unterwürfen, die Breite des politisch zu Entscheidenden eingrenzten und somit die Möglichkeit demokra...weiterlesen


Colin Crouch

Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus. Postdemokratie II

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2011 (edition suhrkamp); 248 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-518-42274-8
Crouchs Fortsetzung seines Essays „Postdemokratie“ (siehe Buch-Nr. 34827) kommt – positiv gesprochen – einer Anerkennung des Status quo nach dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 gleich. Negativ gesprochen kapituliert Crouch vor den nach wie vor neoliberalen Verhältnissen in weiten Teilen der Welt – obschon er durchaus plausibel darlegt, dass der „Dominanz neoliberaler Ideen“ (51) historisch wie gegenwärtig nichts Naturgesetzmäßiges anha...weiterlesen


Colin Crouch

Die bezifferte Welt. Wie die Logik der Finanzmärkte das Wissen bedroht. Postdemokratie III. Aus dem Englischen von Frank Jakubzik

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2015; 250 S.; 21,95 €; ISBN 978-3-518-42505-3
Nicht der Algorithmus, sondern die Ziffer gefährdet die menschliche Ambivalenz und somit die Entscheidungsfreiheit. Wirtschaftliche Kennziffern bedrohen das in anderen Gesellschaftsbereichen gewonnene Wissen, indem sie dieses verdrängen und die Menschen sich in ihren Handlungen allein an jenen ausrichten. Aber der durch die Mechanismen von Angebot und Nachfrage sich bildende Preis auf dem Markt ist als alleiniger Indikator für alle nötigen Handlungsinformationen in ...weiterlesen


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