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Carola S. Rudnick (Hrsg.)

Die andere Hälfte der Erinnerung. Die DDR in der deutschen Geschichtspolitik nach 1989

Bielefeld: transcript 2011 (Histoire 25); 766 S.; 39,80 €; ISBN 978-3-8376-1773-3
Diss. Lüneburg; Gutachter: K. Wernecke, B. Faulenbach, W. Benz. – In ihrem sehr anregenden und detailliert recherchierten Buch untersucht die Autorin die Herausbildung einer dominanten Erinnerungskultur mit Blick auf die DDR-Vergangenheit sowohl auf bundes-/parteipolitischer Ebene als auch mit Blick auf die Entstehung und inhaltliche Ausrichtung einzelner Gedenkstätten. So fördert Rudnick einige interessante Ergebnisse zutage, die sich in drei wesentlichen Punkten zusammenfassen lassen. Erstens kam es zu einer massiven Politisierung der Erinnerungsfrage. Hier spielten sowohl tages- als auch parteipolitische Interessen eine Rolle: Während sich etwa die SPD-geführte Regierung zwischen 1998 und 2005 um eine stärkere Ausdifferenzierung und Demokratisierung gesellschaftlicher Debatten um die DDR bemühte, dominierten unter den CDU-geführten Regierungen eine totalitarismustheoretische Lesart, die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Regime und die Rede von einer kommunistischen Terrorherrschaft. Gleichzeitig wurde die Aufarbeitung der Geschichte auch Teil eines deutschen Selbstfindungs- und Selbstdeutungsprozesses, was sich letztlich auch auf die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit auswirkte. Zweitens wurde die Geschichtsdeutung von Beginn an von den Opfervertretern, Bürgerrechtlern und Oppositionellen der DDR-Vergangenheit dominiert, was zu einer starken Konzentration auf die Auseinandersetzung mit den repressiven Elementen der DDR führte, wohingegen andere Aspekte praktisch nie den Weg in die öffentliche Debatte fanden. Drittens schließlich formte die genannte Dominanz bestimmter Interessengruppen das stark verzerrte Bild der Friedlichen Revolution von 1989. Durch die Auswertung von Dokumenten zeigt Rudnick, dass es weder das erklärte Ziel der Protestgruppen war, den Sozialismus abzuschaffen (im Gegenteil herrschte weitgehend die Überzeugung vor, dass ein reformierter und demokratisierter Sozialismus dem kapitalistischen System überlegen war) noch lässt sich generell die vielzitierte Revolution von unten nachweisen – auch hier ging der Wandel im Gegenteil vor allem von Interessen innerhalb der SED aus.
Björn Wagner (BW)
Dipl.-Politologe, Doktorand und Lehrbeauftragter, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.35 | 2.315 | 2.321 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Carola S. Rudnick (Hrsg.): Die andere Hälfte der Erinnerung. Bielefeld: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34067-die-andere-haelfte-der-erinnerung_40836, veröffentlicht am 01.09.2011. Buch-Nr.: 40836 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken