Skip to main content
Katharina Gerund / Heike Paul (Hrsg.)

Die amerikanische Reeducation-Politik nach 1945. Interdisziplinäre Perspektiven auf "America's Germany"

Bielefeld: transcript Verlag 2015 (Histoire 55); 303 S.; 29,99 €; ISBN 978-3-8376-2632-2
Die aktuellen Debatten über die Krise in der Ukraine zeigen, dass die sich nach dem Zweiten Weltkrieg durchgesetzte Westbindung Deutschlands noch immer so manche Kritiker hat. Die Beitragenden des Bandes – in der Hauptsache Kultur‑ und Literaturwissenschaftler_innen – werfen Blicke zurück auf die Geschichte jener sogenannten Umerziehung. Der zeitliche Schwerpunkt liegt auf den 1950er‑ bis 1970er‑Jahren. Entworfen wird dabei laut den beiden Herausgeberinnen „ein Bild, welches die Reeducation als eine breite Palette an Maßnahmen und Strategien konturiert“ (9). Hierbei zeigt sich einerseits, dass die entsprechenden Politiken kaum miteinander koordiniert und in sich wenig systematisch aufgebaut waren. Andererseits wird deutlich, wie das ursprüngliche Ziel einer Entnazifizierung und Demokratisierung Deutschlands und der Deutschen unter den Vorzeichen des beginnenden Kalten Krieges bald durch das Interesse an einer raschen Einbindung des Landes in die westlichen Strukturen wenn nicht verdrängt, so doch zumindest in die zweite Reihe versetzt wurde. Herbert Sirois arbeitet einleitend zudem heraus, dass der „US Information and Educational Exchange Act“ von 1948, der sogenannte Smith‑Mundt‑Act, zur Umsetzung der Reeducation‑Politik in der Hauptsache gar nicht durch außenpolitische Überlegungen bestimmt wurde. Die Debatten um das Gesetz waren vielmehr von innenpolitischen Fragen geprägt, die der ideologischen Konfrontation mit dem Kommunismus im Allgemeinen und der außenpolitischen Konfrontation mit der Sowjetunion im Besonderen entsprangen. Wie stark der Impetus auf eine Demokratisierung bald nachließ, verrät Reinhild Kreis. Am Beispiel der Entwicklung der Amerikahäuser und der Deutsch‑Amerikanischen Institute in der Bundesrepublik zeigt die Augsburger Historikerin, dass dieser Aspekt „in den frühen 1970er Jahren gänzlich obsolet wurde“ (157). Die Westernisierung schien sich schnell durchgesetzt zu haben. Ähnliches konstatiert der Berliner Kulturhistoriker Winfried Fluck in einem persönlich gehaltenen Nachwort zu den eigenen „Umerziehungserfahrungen“. Demnach haben sich die Perspektiven mittlerweile umgekehrt. Deutschland sei „eine unerwartet liberale und tolerante Gesellschaft geworden, während die USA seit einiger Zeit den umgekehrten Weg [gingen]“ (298). Gerade in Krisenzeiten scheint sich zu zeigen, inwieweit solche Urteile – für beide Länder – wirklich zutreffend sind.
{MUN}
Rubrizierung: 4.14.222.642.233.12.3132.3252.352.343 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Katharina Gerund / Heike Paul (Hrsg.): Die amerikanische Reeducation-Politik nach 1945. Bielefeld: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38637-die-amerikanische-reeducation-politik-nach-1945_46807, veröffentlicht am 16.07.2015. Buch-Nr.: 46807 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken