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Benno Hafeneger / Hannah Jestädt / Lisa-Marie Klose / Philine Lewek: Die AfD in Parlamenten. Themen, Strategien, Akteure

09.07.2018
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Autorenprofil
Sarah Ribbert, M.A.
Frankfurt am Main, Wochenschau Verlag 2018

Mit dem Einzug der „Alternative für Deutschland (AfD)“ in den Bundestag im Herbst 2017 hat sich laut Aussage vieler Abgeordneter und Journalisten auch der Ton im Bundestag verschärft. Provokationen, Störungen, Hetze und Hass hätten deutlich zugenommen – dieser Eindruck wird zumindest der Öffentlichkeit vermittelt. Der Frage, wie die parlamentarischen Aktivitäten der AfD genau aussehen, widmen sich nun Benno Hafeneger, Hannah Jestädt, Lisa-Marie Klose und Philine Lewek in ihrer Studie. Dafür schauen sie sich systematisch die Themen und Verhaltensweisen der Partei in Kommunen und Landesparlamenten an. Ihre Analyse soll daher auch „als Anregung für eine differenziert begründete Auseinandersetzung mit der AfD im formellen und informellen Parlamentsbetrieb“ (7) dienen.

Im ersten Teil des Buches wird zunächst die Entstehungsgeschichte der AfD thematisiert. Dabei argumentieren die Autoren, dass ihr Erscheinen in Deutschland als eine etwas verspätete Antwort auf rechtspopulistische und rechtsextreme Entwicklungen in den anderen europäischen Ländern gesehen werden kann. Dies sei begünstigt worden durch politische wie auch gesellschaftliche Vorläufer und Bewegungen, wozu neben anderen kleineren rechtspopulistischen und -extremen Parteien („Die Freiheit“, die „Republikaner“ etc.) auch die „Sarrazin-Debatte“ und die Euro- und Finanzkrise zählten. Anfangs noch mit einer eher wirtschaftsliberalen Ausrichtung, führten nach Meinung von Hafeneger et al. innerparteiliche Konflikte und Machtkämpfe im Zuge der wöchentlichen Kundgebungen der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) zu einer Spaltung der Partei. Dadurch habe die AfD stärker rechtspopulistische und nationalkonservative Positionen angenommen. Daran anschließend skizzieren die Autoren die Themen und Merkmalsräume der AfD auf Bundesebene und gehen im Zuge dessen auf die Parteiflügel, die Vorerfahrungen der Parlamentarier, die Professionalität, die rechtspopulistische Ausrichtung sowie die Strategie der Partei ein. Dies erfolgt zum Teil in sehr knapper Ausführung, sodass man sich an dieser Stelle etwas mehr Einordnung und Kontextwissen gewünscht hätte.

Dahingegen werden die Wahlergebnisse der AfD, angefangen von den 14 Landtagen, in denen die AfD vertreten ist, über die in 2016 abgehaltenen Kommunalwahlen bis hin zur Bundestagswahl im September 2017, umso ausführlicher wiedergegeben – was leider größtenteils einer reinen Auflistung an Zahlen gleicht. Die Autoren kommen dabei zu dem Schluss, dass „[d]ie AfD […] im rechten bzw. neurechten (rechtspopulistischen) Lager mit z. T. hohen zweistelligen Wahlergebnissen und vielen Mandaten zur dominierenden parteipolitischen und parlamentarischen Kraft geworden [ist]“ (39). Diese Einschätzung wirft zwangsläufig die Frage auf, wie es dazu kommen konnte. Unter Rückgriff auf andere Untersuchungen identifizieren Hafeneger et al. wichtige Erklärungsansätze und Effekte. Nach ihnen gehören zu den wesentlichen Wahlmotiven ökonomisch-soziale und soziokulturelle Faktoren und Grundstimmungen, welche vor allem auf (kulturellen) Verunsicherungen und Ängsten, Enttäuschungserfahrungen und Misstrauen (gegenüber der etablierten Demokratie, der Politik und den Medien) beruhen. Die AfD sei daher auch „als Ausdruck und Katalysator der seit längerer Zeit schwelenden Krise der Parteiendemokratie bzw. der Volksparteien als ‚Mitte-Parteien‘ zu verstehen“ (147).

Mit einer kurzen Beschreibung der heterogen zusammengesetzten AfD-Wählerschaft sowie der AfD-Politiker endet schließlich der eher allgemein gehaltene Überblick zur AfD. Es folgt der von der Seitenzahl her umfassendste Teil des Buches (S. 46-130), in dem die Autoren die (insgesamt 868) Anträge und Anfragen von AfD-Fraktionen in den kommunalen Parlamenten von Hessen und Niedersachsen sowie der Landtagsfraktion in Rheinland-Pfalz dokumentieren und auswerten. Die dabei identifizierten Themen bedienen ein weites Spektrum, das von Migration/ Asyl/ Flüchtlinge, Innere Sicherheit, Haushaltspolitik, Umwelt und Energie, Kultur und Geschichte bis hin zu Kinder-, Jugend-, Familien- oder Bildungspolitik reicht. Diese Themen bezögen sich oft auf die lokalen beziehungsweise regionalen Verhältnisse und Probleme sowie kommunale und landesbezogene Fragen. Nicht selten seien sie dabei der jeweiligen Presseberichtserstattung entnommen. Somit ist die AfD für Hafeneger et al. „keine Single-Issue-Partei [wie ihre Präsentation in der Öffentlichkeit nahelegt], auch wenn die „Flüchtlingskrise“ der Anlass (nicht der Grund) für ihren Erfolg war“ (147).

Schade ist an dieser Stelle nur, dass die Autoren nicht den analytischen Schritt gehen, die parlamentarische Arbeit der AfD auf kommunaler und Landesebene miteinander zu vergleichen beziehungsweise Unterschiede herauszuarbeiten. Hier hätte man sich etwas mehr analytischen Tiefgang gewünscht.

Durchaus interessant sind die Ergebnisse zur Wahrnehmung der AfD und dem Umgang mit ihr. Dafür befragten Hafeneger et al. 25 Abgeordnete verschiedener Parteien aus dem Landtag Rheinland-Pfalz und den hessischen und niedersächsischen Kommunalparlamenten. Diese nahmen die jeweilige AfD-Fraktion mehrheitlich als männerdominiert, strategiesuchend und mit einem ambivalenten Auftreten im Plenum und in den Ausschüssen von „pragmatisch“, „ganz normal“ bis hin zu „aggressiv“ und „provokativ“ (138) wahr. Die Abgeordneten attestierten ihr eine klare Rollenverteilung mit den Fraktionsvorsitzenden als Hauptakteuren sowie das Bedürfnis nach Normalisierung und Anerkennung als Partei. Differenzierungen fanden dahingehend statt, ob es sich um eine „fleißige“ oder „faule Fraktion“ (140) handelt. Hinsichtlich des Umgangs mit der AfD arbeiteten die Autoren heraus, dass die meisten Abgeordneten sich ihr gegenüber distanzieren, abgrenzen, ihre Anträge strikt ablehnen und die AfD-Politiker im persönlichem Umgang soweit wie möglich meiden. Auf der anderen Seite sei aber auch von den Befragten die Notwendigkeit betont worden, die AfD nicht zu ignorieren, Kompetenz in inhaltlichen Auseinandersetzungen zu zeigen und auf professioneller Ebene mit den AfD-Abgeordneten umzugehen.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Hafeneger et al. mit der Untersuchung der Parlamentsaktivitäten der AfD in den drei ausgewählten Bundesländern einen wichtigen Beitrag zu einem besseren Verständnis der AfD als Partei leisten. Die dafür ausgewerteten Anträge der AfD-Fraktionen und die auf Interviewaussagen gestützten Befunde zur Wahrnehmung der AfD und zum Umgang mit ihr liefern eine realitätsnahe Analyse über die politische Motivation und das Agieren der AfD im Parlamentsbetrieb. Dies geschieht allerdings weitestgehend auf deskriptiver Ebene, wodurch die Ergebnisse nur in geringem Maße fundierte Aussagen über die AfD zulassen. Dennoch bieten sie einen ersten guten Überblick und können sinnvoll als Grundlage für weitere Untersuchungen dienen.

 

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