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Lukas Gschwend / Marc Winiger

Die Abschaffung der Folter in der Schweiz

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2008 (Europäische Rechts- und Regionalgeschichte 6); 159 S.; 34,- €; ISBN 978-3-8329-4150-5
Dass die gewaltsame Erzwingung von Geständnissen mittels des peinlichen Verhörs seit dem Spätmittelalter in ganz Europa bis ins 18. Jahrhundert weit verbreitet und auch rechtlich geregelt war, berichtet der Schweizer Professor für Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie und Rechtsphilosophie Gschwend. Der frühneuzeitliche Staat habe Folter als verfahrensrechtliches Mittel zur Wahrheitsfindung eingesetzt, um ein Geständnis zu erwirken, es habe als Königin der Beweise gegolten. Mit der Aufklärung sei die Folter zwar zunehmend in die Kritik geraten, doch sei sie in der Gestalt von Ungehorsams- und Lügenstrafen noch lange üblich gewesen. Das gewaltsam erzwungene Geständnis sei bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts strafprozessuale Realität geblieben, schreibt Gschwend. Noch 1869 sei im Kanton Zug ein Angeschuldigter unter Anlegung der Daumenschraube verhört worden. Das lange Festhalten am Geständniszwang in den Schweizer ländlichen Kantonen zeuge nicht nur von konservativer Gesinnung, vielmehr resultiere es aus dem „geringen Vertrauen in die kriminalistisch tatsächlich geringe Leistungsfähigkeit der Strafuntersuchungsbehörden, namentlich der schlecht ausgebildeten Polizeikräfte“ (124). Erst Mitte des 19. Jahrhunderts – hundert Jahre nach Abschaffung der Folter in Preußen – sei durch die Einführung der freien Beweiswürdigung dem Geständniszwang der Boden weitgehend entzogen worden. Mit der Europäischen Menschenrechtskonvention weitere hundert Jahre später seien die Voraussetzungen für einen umfassenden Schutz des Angeschuldigten vor behördlich angeordnetem Geständniszwang geschaffen worden. Die leicht lesbare rechtshistorische Abhandlung ist aus einem Vortrag entstanden, den Gschwend vor dem Historischen Verein des Kantons St. Gallen gehalten und den er mit Winiger für die Publikation weiterentwickelt hat.
Sabine Steppat (STE)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.5 | 2.21 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Lukas Gschwend / Marc Winiger: Die Abschaffung der Folter in der Schweiz Baden-Baden: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32598-die-abschaffung-der-folter-in-der-schweiz_38907, veröffentlicht am 24.11.2010. Buch-Nr.: 38907 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken