Der Sozialstaat im Urteil der Bevölkerung
Präsentiert werden in diesem Band die Ergebnisse des Projekts „Einstellungen zum Sozialstaat“, das im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales 2005 bis 2008 durchgeführt wurde. Angesichts der grundlegenden Reformen des Sozialstaats in den vergangenen 20 Jahren fragen die Autoren, „wie die Bevölkerung diesen Umbruch wahrnimmt und bewertet“ (15). Damit soll nicht nur ein Blick auf die subjektive Dimension der bundesdeutschen Sozialpolitik, sondern zugleich auch auf mögliche Konflikte und damit auf die Rahmenbedingungen für die Implementierung entsprechender Reformen gerichtet werden. Für die repräsentativen Umfragen werden verschiedene „Dimensionen der subjektiven Qualität der Gesellschaft“ (19) definiert. Dazu zählen u. a. die Einstellungen der Bürger zur Gerechtigkeit der Lebensverhältnisse, ihre Beurteilung im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Lage und ihre Einschätzung der Realisierung demokratischer Grundwerte. Gerade diese Dimensionen lassen sich kritisch hinterfragen. Denn ist eine entsprechende Frage zur Situation der sozialen Gerechtigkeit ohne die zusätzliche Bereitstellung konkretisierender Auswahlkriterien wirklich aussagekräftig angesichts extrem heterogener Gerechtigkeitsvorstellungen in der Gesellschaft? Die Autoren haben diesem Einwand vorgebaut, indem sie z. B. „gerechte Verteilungsprinzipien“ (31) und Verteilungsergebnisse abgefragt haben. Neben diesen Einstellungen zur allgemeinen Ausgestaltung des Sozialstaats liefert der Band wertvolle Daten zu den einzelnen Institutionen wie zur gesetzliche Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie zum Mindestlohn. Im Ergebnis stellen die Autoren fest, dass ein „grundlegender kultureller Wandel der Gerechtigkeitsvorstellungen“ (121) nicht stattfindet. Gleichwohl sei eine Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland zu konstatieren. Dabei vertreten 80 Prozent der Befragten eine egalitaristische Gerechtigkeitsvorstellung, die sich gegen eine rein marktorientierte Organisation der sozialen Sicherungssysteme richtet. Insgesamt liefert der Band eine wichtige empirische Unterfütterung für sozialwissenschaftliche Studien zur allgemeinen Reformbereitschaft der Bevölkerung in der Bundesrepublik. Gleichwohl bleibt ein Manko solcher Umfragestudien immer der kontextgebundene Schlaglichtcharakter, da – wie in diesem Fall – eben über fünf Jahre alte Datensätze präsentiert werden.