Bruckner ist einer der wichtigsten Philosophen und Publizisten Frankreichs. Mit pointierten Essays meldet er sich immer wieder zu tagesaktuellen Problemen zu Wort oder entfacht grundsätzliche Debatten, so über den Schuldkomplex. Darunter versteht er die vielfache Unfähigkeit, über Themen wie Sklaverei, koloniale Vergangenheit oder Faschismus offen zu sprechen. Dabei ist gerade das Sprechen über Schuld und Scham ein politisches und moralisches Gebot. Vielfach aber unterbleibt es. Vielmehr ist eine Büßerhaltung verbreitet, die jedoch den Blick für das verantwortliche Umgehen mit der Geschichte verstellt. Unter diesen Vorzeichen unternimmt Bruckner eine Tour d’Horizon durch die europäische Geschichte. Thesenfreudig setzt er sich dabei mit Pathologien der Schuld, mit dem Triumph der Angst oder mit ambivalenten Nostalgien auseinander und legt seinen Finger in offene Wunden der Vergangenheit und Gegenwart. Gerade Europa sollte aufgrund seiner aufgeklärten Denktradition in der Lage sein, sich diesen Wunden zu stellen. Ist doch „das schönste Geschenk, das Europa der Welt machen kann, dieser Geist der Kritik und Selbstprüfung, den es entwickelt und über so viele Gefahren hinübergerettet hat.” (228) Damit fordert er zu einer nachhaltigen Auseinandersetzung heraus, die einerseits gegen Geschichtsvergessenheit gerichtet ist, andererseits aber ganz bewusst die werturteilende Erinnerung an historisches Unrecht für das Gestalten der Zukunft nutzen möchte.