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Wolfgang Hirn

Der nächste Kalte Krieg. China gegen den Westen

Frankfurt a. M.: S. Fischer 2013; 284 S.; brosch., 14,99 €; ISBN 978-3-10-030413-1
Mit diesem Band, in dem der Autor reportagen‑ bis anekdotenhaft Kenntnisse aus eigenem Erleben in schon beinahe ermüdender Häufigkeit in seine Darstellung einfließen lässt, ist das so eine Sache. Wer nichts von holzschnittartigen Analysen à la „die“ Chinesen tun dies, woraufhin „die“ Europäer nur noch jenes machen können, hält, der sollte das Buch erst gar nicht in die Hand nehmen. Wer mit der kausalitätsgläubigen Verflechtung von weltpolitischen Großakteuren auf Nationen‑ oder besser noch auf Kontinentebene etwas anzufangen weiß, ist hier richtig. So gelesen, wird Hirns Erzählung eines neuen Kalten Krieges auch zu einem in sich stimmigen Plot: China steigt ohne Unterlass weiter auf, die Kommunistische Partei plant in weiser Voraussicht alle weiteren erforderlichen Schritte, um der gelben Gefahr (wie es dann konkludent auch heißen müsste) den Weg ganz nach oben an die Spitze der Welt zu ebnen – in politischer, wirtschaftlicher und sprachlich‑kultureller Hinsicht. Dagegen sehen Amerika und Europa ziemlich alt aus: Irgendwie unbeholfen und unsicher – vielleicht gar lethargisch – sonnt man sich, wo dies noch möglich ist, in den letzten Strahlen eines verblassenden Erfolgs und wartet auf die Wachablösung – etwa in Form chinesischer Technologieführerschaft oder Bildungserfolge. Letztere – so Hirns Analyse des chinesischen Bildungssystems – werden zwangsläufig eintreten, was im Westen aber nicht hinreichend wahrgenommen werde, dominiere doch immer noch das Bild stumpfen Auswendiglernens in chinesischen Bildungseinrichtungen, was unter anderem zu wenig Raum für Kreativität lasse. Und natürlich, so Hirn weiter, basiere Bildung in China immer noch zu einem gewissen Grad auf stumpfem Pauken, auf Druck, auf radikaler Auslese. Auf dem Weg zum Abitur sei die chinesische Schule unglaublich kompetitiv: „Das hat negative Folgen – die Selbstmordrate [...] ist relativ hoch.“ (84 f.). Nächster Satz: „Und es hat positive Folgen: nach dem Prinzip des Survival of the Fittest spült dieses Auswahlverfahren meist die besten nach oben.“ (85). Ach so, kann man da eigentlich nur sagen, dann ist ja alles gut – und die paar toten Schüler sind, zumindest nach Ansicht des Autors, angesichts der Massen von Chinesen ja nun wirklich nicht das Problem. Oder man klappt hier einfach das Buch wieder zu, auch wenn noch weitere 200 Seiten folgen. Denn auf diesem Niveau wird mit einer differenzierten Analyse wahrlich nicht mehr zu rechnen sein.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.68 | 4.22 | 4.43 | 2.261 | 2.262 | 2.263 | 2.64 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Wolfgang Hirn: Der nächste Kalte Krieg. Frankfurt a. M.: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36096-der-naechste-kalte-krieg_43990, veröffentlicht am 22.08.2013. Buch-Nr.: 43990 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken