
Der Mythos Amerika
In diesem über Jahrzehnte gewachsenen Buch geht es um das amerikanische Selbstverständnis und dessen sprachlich-symbolische Durchdringung. In der geistigen Nachfolge seines akademischen Lehrers Eric Voegelin gelingt es dem seit 1970 an der University of Hawaii lehrenden Politikwissenschaftler Henningsen, die „Diskrepanz zwischen symbolischem Selbstverständnis und gesellschaftlicher Wirklichkeit“ (23) in einer beeindruckenden Zusammenschau zu analysieren. Unter kenntnisreichem Rückbezug auf bedeutungsstiftende Romane, Filme und alltagskulturelle Interpretamente legt er identitätsbildende Tiefenschichten des amerikanischen Selbstverständnisses frei. Der sich im Gründungsdenken manifestierende „Mythos Amerika“, der in seiner Überlieferung und symbolischen Überhöhung weder „die Zerstörung der indianischen Lebenswelten“ (70 f.) noch die Institution der Sklaverei und den Rassismus als Erblast des Amerikanismus anzuerkennen wagte, verstellt nach Henningsen bis heute den Blick auf das eigene Land. Insbesondere die Selbstinterpretation der politischen Klasse der Vereinigten Staaten wird vor diesem Hintergrund einer kritischen Betrachtung unterzogen, ja bisweilen geradezu entlarvt. Dennoch ist dieses Buch kein herkömmliches anti-amerikanisches Traktat, sondern ganz im Gegenteil: Es verweist auf die gesellschaftliche Stärke und schöpferische Kraft dieses Landes, das in der Wahl Barack Obamas zugleich einen existenziellen Repräsentanten als Zeichen einer gewandelten öffentlichen Selbstauslegung ins höchste politische Amt gebracht hat. Als erster gleichsam kosmopolitischer Präsident der USA lebt er bereits „eine amerikanische Wirklichkeit, die nicht mehr vom amerikanischen Mythos gedeckt wird, sondern auf eine neue Symbolsprache wartet.“ (315)