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Tahar Ben Jelloun

Der Islam, der uns Angst macht. Aus dem Französischen von Christiane Kayser

Berlin: Berlin Verlag 2015; 128 S.; kart., 10,- €; ISBN 978-3-8270-1289-0
Freiheit, Wut, Islam, Rache, Unwissenheit, Widerstand – so lauten sechs der sieben Worte, die Tahar Ben Jelloun zu Beginn seines Aufrufes gegen einen gewalttätigen Islamismus aneinanderreiht. Das siebte Wort ist zweifellos das stärkste. Es lautet – Lächeln. Ben Jelloun meint das Lächeln seines Freundes Cabu – bürgerlich Jean Cabut –, der beim Anschlag auf die Redaktionsräume von Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 ums Leben gekommen ist und an das er sich seitdem immer wieder erinnert. Die Unfassbarkeit dieses Verbrechens hat, in Verbindung mit den Anschlägen des 13. November 2015, nicht nur Frankreich in eine tiefe Krise und in größte Verunsicherung gestürzt – sie liefert auch das Motiv für den vorliegenden Versuch des Verstehens. Dabei meint Verstehen nicht Verständnis für das Verbrechen, sondern Orientierung, meint einen Versuch, sich nicht der Angst und Verunsicherung hinzugeben. In einem Teil des Bandes, den Ben Jelloun, ähnlich wie in einigen seiner Vorgängerwerke, als Gespräch mit seiner Tochter konzipiert, wird dann diese eine, immer wieder auftretende Frage gestellt: „Müssen wir Angst vor dem Islam haben?“ Und er antwortet: „Ich würde sagen, wir müssen Angst haben vor jenen, die sich dieser Religion bedienen, um zu herrschen und die anderen zu unterdrücken; ja, die Dschihadisten machen Angst, auch wenn alle Welt weiß, dass sie nicht die Vertreter des wahren Islam sind.“ (24) In dieser Antwort steckt – im Kern – der gesamte aufklärerische Anspruch Ben Jellouns. Dazu gehört, einer Religion als Privatsache ihre Würde zu lassen, ihre politische Instrumentalisierung zu erkennen und gegen die entschlossen vorzugehen, die sie instrumentalisieren. Alle anderen aber, und das ist in Zeiten der Angst, wie wir sie heute erleben, ein kaum zu unterschätzender, wichtiger Appell, sind – und mögen sie noch so fremd und anders erscheinen – keine Bedrohung. Die gegenwärtige Entwicklung indes deutet in eine andere Richtung: „In letzter Zeit schien die Jagd auf den Islam und die Muslime eröffnet worden zu sein“ (122) – in Form des Rechtspopulismus ein Phänomen, das nicht nur in Frankreich zu beobachten ist. Damit wenden sich die europäischen Gesellschaften nicht nur gegen die Terroristen und Verbrecher, sondern gegen all jene Bürgerinnen und Bürger, die auf dem Boden der bestehenden Gesetze ihre Religion im Privaten ausüben wollen. Heute ist es die Gruppe der Muslime, gegen die ein Generalverdacht besteht – und morgen? „Deshalb müssen wir alle Widerstand leisten, denn wir sind alle betroffen.“ (123)
{LEM}
Rubrizierung: 4.412.252.632.61 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Tahar Ben Jelloun: Der Islam, der uns Angst macht. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39250-der-islam-der-uns-angst-macht_47180, veröffentlicht am 14.01.2016. Buch-Nr.: 47180 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken